Der Waechter
Der hat dich doch nicht mal wahrgenommen.
Im Bus nach Hause gesellte sich Jenny zu Nina und deren Cousine Eva. Eva wohnte im gleichen Dorf wie Nina und war in Kassandras Klasse. Sie war klein und zierlich und obwohl eher ruhig und zurückhaltend, fürchtete jeder ihre bissigen Kommentare. Jenny steckten noch immer die Nachwehen der Kopfschmerzen in den Knochen, trotzdem ließ sie es sich nicht nehmen, mit Nina noch einmal die Ereignisse des Tages durchzusprechen.
« Der Neue heißt Konrad », mischte Eva sich ein.
« Redest du mit mir? », überrascht zeigte Jenny mit dem kleinen Finger auf sich, während sie mit den anderen den Zipfel ihres Schals umklammerte. Für gewöhnlich gab Eva sich nicht mit ihr ab. Jenny war überzeugt davon, dass sie insgeheim Ninas und ihre Schwärmereien belächelte.
« Karl hat ihm seine Klasse gezeigt. Er hatte Schülerdienst. Der Typ ist irgendwo aus dem Norden. Und nicht sehr gesprächig. Das war das Einzige, was bei Karl nach der Begegnung mit ihm hängen geblieben ist », plauderte Eva munter drauf los und ignorierte Jennys Bemerkung.
Verstehe! Nicht gerade kontaktfreudig. So viel zum Thema: Ich muss ihn schnellstmöglich kennenlernen.
2. Kapitel
Die Faschingsfeier am Freitag war die ganze Woche über, gleich nach Rene, Gesprächsthema bei Jenny gewesen. Jeder ihrer Gedanken drehte sich darum, wie sie Rene gefallen könnte. Es musste eine Verkleidung sein, die es ihr möglich machte, sich für ihn herauszuputzen, ohne dass es offensichtlich war. Sie entschied sich für ein Vampir-Outfit. Sie brauchte nur einen Zahnaufsatz aus Plastik und konnte richtig viel Make-up auftragen. Ihre braunen Augen umrandete Jenny schwarz mit Kajal und Wimperntusche. Den Rest des Gesichtes puderte sie hell, sodass der knallrote Lippenstift ihrer Mutter voll zur Geltung kam.
Wow!
Was die Kleidung betraf, hatte sie wenig Auswahl. Jenny trug nie die modernste Kleidung. Ihr Sammelsurium beschränkte sich auf die abgetragene Kleidung ihrer großen Schwester und Wühltischerrungenschaften ihrer Mutter. Aber sie schaffte es immer, das Beste daraus zu machen. Manchmal sah sie sogar flippig aus. Dennoch konnte sie nicht leugnen, dass der Mangel an modernem Equipment, zu ihren Minderwertigkeitskomplexen beitrug. Aber heute gefiel sie sich. Sie trug eine enge Jeans, was nichts Besonderes war, denn alle ihre Jeans saßen eng. Als Umhang diente ihr ein schwarzer Trenchcoat, den ihr der derzeitige Freund ihrer Mutter geliehen hatte.
Ausgelassen tanzte Jenny mit Nina, Kassandra, Anja und Pamela in der Aula des Gymnasiums, die zur Tanzfläche umfunktioniert worden war.
« Heute lässt er sich aber Zeit, dein Liebster », rief Nina Jenny zwischen zwei Tanzschritten zu.
Um acht war Rene noch immer nicht da und Jenny begann jeder Sekunde nachzutrauern, die sie ihn nicht sehen konnte. Also behielt sie Konrad im Auge. Er hatte die letzten Tage immer mit Rene herumgehangen, und wenn der endlich auftauchte, würde er sich sicher zu ihm gesellen.
« Da macht sich einer wohl nichts aus Fasching », sagte Jenny zu Nina und deutete in Konrads Richtung. Er trug sein fast alltägliches Outfit: Jeans, ein etwas schickeres, hellblaues Hemd und den schwarzen Mantel.
« Für manche ist das natürliche Erscheinungsbild Maske genug », stellte Nina grinsend fest und spielte damit auf Konrads starren Gesichtsausdruck an, der festgewachsen wirkte.
Jenny hatte den Eindruck, dass Konrad sie ebenso beobachtete, wie sie ihn, denn immer wenn sie in seine Richtung sah, trafen sich ihre Blicke.
Vielleicht hat er ja von Rene den Auftrag bekommen, mich im Auge zu behalten.
Der Gedanke, auch wenn er noch so abwegig war, beflügelte sie.
« Hey guck mal, wer da kommt », Nina stürzte auf Jenny zu.
Endlich!
Rene war da! Jennys Herz hüpfte vor Freude. Allerdings nur einen winzigen Moment lang, denn unmittelbar hinter ihm ging Stefanie Bergmann aus der Zehnten.
Ne, oder?
Jennys Gemüt bröckelte auseinander wie eine Gipsfigur.
Stefanie Bergmann verkörperte alles, worum Jenny andere beneidete. Sie hatte blondes, lockiges Haar, strahlend blaue Augen, war superschlank, bei jedem beliebt und ganz nebenbei, war sie in allem, was sie tat, ein Genie. Ihr Notendurchschnitt betrug stets eins Komma null, sie konnte malen wie eine Künstlerin und ihre Lateinvokabeln lernte sie im Unterricht gleich mit, ohne sich besonders anstrengen zu müssen.
Die Welt ist so beschissen ungerecht!
Jenny sollte diejenige bei Rene sein. Sie sollte
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