Der Wächter
gestrebt hat. Nicht Macht, nicht Geld, nicht Nervenkitzel, nicht Kontrolle.
Er hat versucht, sich zu ändern, aber er hat zu lange einen einsamen Pfad beschritten, um fähig zu sein, umzukehren und die Freundschaft anderer Menschen zu finden, nach der er sich sehnt. Hannah ist nun schon fünf Jahre tot. Erst als sie im Sterben lag, hat er erkannt, dass sie die beste Chance war, die er je hatte, den Weg vom falschen Pfad zum richtigen zu finden. Als junger Hitzkopf hat er ihren Rat in den Wind geschlagen, weil er glaubte, Macht und Geld seien ihm wichtiger als sie. Der Schock ihres frühen Todes hat ihn dazu gezwungen, der bitteren Wahrheit ins Auge zu sehen, dass er Unrecht hatte.
Und erst an dem seltsamen Regentag heute hat er begriffen, dass sie auch seine letzte Chance war.
Für einen Mann, der einst geglaubt hat, die Welt sei wie ein Klumpen Lehm, den man formen könne, wie man wolle, ist Dunny nun in einer schwierigen Lage. Er hat alle Macht über die Dinge verloren. Nichts, was er jetzt tut, kann sein Leben noch verändern.
Von dem Geld, das er aus dem Wandsafe in seinem Arbeitszimmer geholt hat, sind noch zwanzigtausend Dollar übrig. Zehn davon könnte er einfach dem alten Ehepaar aus Scranton schenken, damit es auf seine Kosten einen ganzen Monat im schönen Hawaii verweilen kann, um gut zu essen und zu trinken.
Er könnte aber auch den Aufzug anhalten und die beiden umbringen.
Keine der beiden Handlungsweisen würde seine Zukunft in irgendeiner bedeutungsvollen Weise beeinflussen.
Gegenüber dem Glück der beiden verspürt er bitteren Neid. Es wäre eine grausame Befriedigung für ihn, sie der Jahre zu berauben, die ihnen noch bleiben.
Aber was es auch an ihm auszusetzen gibt – die Liste seiner Fehler und Laster ist lang –, aus bloßem Neid kann er niemanden töten. Davon hält ihn schon sein Stolz ab, mehr als irgendwelches Mitgefühl.
Im dritten Stock angekommen, stellen die Aufzuginsassen fest, dass ihre Suiten in entgegengesetzter Richtung liegen. Dunny wünscht den beiden Alten alles Gute und sieht sie dann Hand in Hand davongehen.
Dunny bewohnt die Präsidentensuite. Dieses vornehme Domizil hat Typhon auf Zwölfmonatsbasis gemietet, aber die nächsten paar Tage braucht er es nicht, weil er geschäftlich unterwegs ist.
Bei dem Wort Präsident würde man eigentlich an eher zurückhaltenden, demokratischen Prunk denken. Die großen Räume der Suite sind jedoch so opulent und sinnenfreudig ausgestattet, dass sie weniger für einen Diener der Demokratie taugen als für gekrönte Häupter oder Halbgötter.
Marmorböden mit Intarsien, Orientteppiche in goldenen, roten, aprikosenfarbenen und indigoblauen Tönen, an den Wänden edle Holztäfelung, die bis zur knapp fünf Meter hohen Kassettendecke reicht …
Während Dunny von Zimmer zu Zimmer schlendert, denkt er über den Wunsch aller Menschen nach, ihre Wohnstätte so schön wie möglich zu gestalten und dadurch tapfer zu leugnen, dass man es mit einer rauen Welt zu tun hat. Jeder Palast und jedes Kunstwerk sind nur Staub, den man noch nicht als solchen erkennt, und die geduldige Zeit ist der Wind, der ihn hinwegwehen wird. Trotzdem verwenden Männer wie Frauen viele Gedanken, viel Mühe und viel Sorgfalt darauf, ihr Heim ansprechend zu gestalten, weil sie entgegen aller Tatsachen hoffen, dass ihr Leben einen Sinn hat und dass ihre Fähigkeiten einem Zweck dienen, der größer ist als sie selbst.
Bis vor zwei Jahren hat Dunny diese Hoffnung nie gekannt, aber nachdem er drei Jahre um Hannah getrauert hatte, ist in ihm seltsamerweise das Bedürfnis entstanden, an Gott zu glauben.
In den Jahren nach Hannahs Begräbnis ist langsam eine unerwartete Hoffnung in ihm gewachsen, verzweifelt und zerbrechlich, aber hartnäckig. Trotzdem ist er zu sehr der alte Dunny geblieben, ist in Denken und Handeln zu sehr seinen alten Gewohnheiten verhaftet.
Hoffnung ist eine nebulöse Angelegenheit. Er hat nicht gelernt, sie in etwas Reines, Klares, Kraftvolles umzuwandeln.
Und nun wird er es sowieso nie mehr lernen.
Im großen Schlafzimmer steht er an einem Fenster, an dem der Regen herabströmt, und schaut nach Nordwesten. Jenseits der verschwommenen Lichter der Stadt, jenseits der Hügel von Beverly Hills mit ihren exklusiven Villen und Gärten liegt Bel Air mit dem Palazzo Rospo, jenem törichten und dennoch prächtigen Denkmal an die Hoffnung. Alle, die es je besessen haben, sind tot – oder werden es sein.
Dunny wendet sich vom Fenster ab und starrt
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