Der Wächter
aufs Bett. Das Zimmermädchen hat die Tagesdecke abgenommen, die Laken zurückgeschlagen und ein winziges goldenes Kästchen auf eines der Kissen gesetzt.
Das Kästchen enthält vier Bonbons. So elegant und fein verziert, wie sie aussehen, sind sie bestimmt köstlich, aber Dunny gönnt sich keines davon.
Er könnte eine Reihe schöner Frauen anrufen und auffordern, das Bett mit ihm zu teilen. Manche würden Geld dafür verlangen, andere nicht. Es sind Frauen darunter, für die Sex ein Akt der Liebe und Hingebung ist, aber auch solche, die es genießen, dabei erniedrigt zu werden. Dunny hat die Wahl; jede Zärtlichkeit und jeder Nervenkitzel stehen ihm zu Gebote.
Wie die Austern und der Pinot Grigio geschmeckt haben, weiß er nicht mehr. Die Erinnerung daran hat keine Substanz; sie stimuliert seine Sinne nicht stärker als eine Fotografie von Austern oder Wein.
Auch keine der Frauen, die er anrufen könnte, würde einen stärkeren Eindruck hinterlassen als das Essen und Trinken, das er gerade verdaut und das ihm doch wie eine Phantasiemahlzeit vorkommt. Die seidene Glätte ihrer Haut, der Duft ihres Haars würde schon in dem Augenblick verschwunden sein, in dem sie die Tür hinter sich schlossen.
Er ist wie ein Mann, der die Nacht vor dem Ende der Welt durchlebt und weiß, dass die Sonne sich am Morgen in eine Supernova verwandeln wird, der aber dennoch nicht fähig ist, die kostbaren Freuden dieser Welt zu genießen, weil seine ganze Energie von dem verzweifelten Wunsch verzehrt wird, die vorhergesehene Katastrophe möge an ihm vorübergehen.
36
Ethan und Hazard trafen sich in einer Kirche. Montagabends waren die Bänke zu dieser Stunde leer, und es bestand nicht die geringste Gefahr, dass sie von irgendwelchen Politikern, Beamten des polizeilichen Untersuchungsteams oder anderen Behördenvertretern zusammen gesehen wurden.
In dem sonst verlassenen Kirchenschiff setzten sie sich Seite an Seite auf eine Bank, ganz in der Nähe des Seitengangs, wo keine der Decken- oder Bodenlampen das Dunkel erhellte. Der dumpfe, aber angenehm würzige Duft alten Weihrauchs schwebte in der Luft, so reglos wie in einem verschlossenen Glas.
Sie unterhielten sich weniger in verschwörerischem Flüsterton als mit der gedämpften Stimme von Leuten, die ein gewaltiges Ereignis erschüttert hat.
»Dem Untersuchungsteam habe ich erzählt, dass ich Reynerd wegen dessen Freund Jerry Nemo in die Zange nehmen wollte«, sagte Hazard. »Der wird nämlich des Mordes an einem Koksdealer namens Carter Cook verdächtigt.«
»Und, hat man dir geglaubt?«, fragte Ethan.
»Offenbar wollte man mir glauben. Allerdings kriege ich ausgerechnet morgen einen Laborbericht, mit dem ich bombensicher nachweisen kann, dass die Blondine im Tümpel was mit diesem Stadtrat zu tun hat, von dem ich dir erzählt habe.«
»Du meinst die Sache mit dem Mädchen, das man in einem Klärbecken entsorgt hat.«
»Genau. Deshalb wird dieser Drecksack – ich meine den Stadtrat – nach Möglichkeiten suchen, mir in die Suppe zu spucken. Und wenn irgendeiner der Typen vom Untersuchungsteam käuflich oder erpressbar ist, dann macht er aus diesem Berufskiller mit dem Kokslöffel am Ohr einen verkrüppelten Chorknaben, dem man in den Rücken geschossen hat; und dann kommt meine Visage auf die Titelseiten direkt unter die bekannte Schlagzeile.«
Ethan wusste, wie diese Schlagzeile lauten würde, weil er sich mit Hazard oft darüber unterhalten hatte, wie leicht man die herrschenden Vorurteile gegenüber der Polizei missbrauchen konnte: KILLER-COP. Wenn ein korrupter Politiker und die sensationslüsterne Presse merkten, dass sie bei irgendeinem Kriminalfall ein gemeinsames Interesse hatten, dann wurde die Wahrheit stärker strapaziert als die Haut einer alternden Hollywoodschönheit beim vierten Facelifting; dann riss man Justifia die Binde von den Augen und stopfte sie ihr in den Mund, um sie zum Schweigen zu bringen.
Hazard beugte sich vor, stützte die Unterarme auf die Oberschenkel und faltete die Hände wie beim Beten. »Bei den Medien liebt man diesen Stadtrat«, sagte er, den Blick unverwandt auf den Altar gerichtet. »Er hat einen Ruf als Reformer, weil er in allen Streitfragen auf der richtigen Seite steht. Mich sollte man eigentlich auch lieben, schon weil ich so liebenswert bin, aber diese Typen würden sich eher die Lippen abschneiden, als einem Cop ’nen Kuss auf die Backe zu drücken. Wenn sie eine Chance haben, ihn zu retten, indem sich mich ans Kreuz
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