Der Wächter
Ahnung.«
Knirschend zerkaute Hazard seinen halb gelutschten Bonbon.
»Mit so was versaust du dir die Zähne«, sagte Ethan.
»Als ob das mein größtes Problem wäre!«
»War bloß ein freundschaftlicher Rat.«
»Also, Whistler wacht in der Kühlkammer auf und merkt, dass man ihn versehentlich für tot gehalten hat. Daraufhin zieht er sich seine Sachen an, geht nach Hause, ohne irgendjemandem was zu sagen, und stellt sich unter die Dusche. Ergibt das irgendeinen Sinn?«
»Nein. Aber vielleicht hat er ja einen bleibenden Hirn-schaden erlitten.«
»Er fährt zu einem Blumenladen, kauft ein paar Rosen, besucht ein Grab, heuert einen Killer an … Für einen Burschen, der mit Hirnschaden aus dem Koma aufwacht, kommt er offenbar ziemlich gut zurecht.«
»Die Hypothese mit dem Hirnschaden habe ich inzwischen auch aufgegeben.«
»Gute Idee. Also, was ist passiert, nachdem du den Blumenladen verlassen hast?«
Im Einklang mit seiner Theorie, dass zwei Geistererscheinungen der Glaubwürdigkeit schadeten, verschwieg Ethan die Sache mit dem Unfall. »Ich bin in eine Bar gegangen.«
»Du bist doch eigentlich gar nicht der Typ, der in einem Glas Gin nach Antworten sucht.«
»Es war Scotch, aber da drin hab ich auch keine Antworten gefunden. Vielleicht versuche ich’s das nächste Mal mit Wodka.«
»Und das war’s? Du hast jetzt alles auf den Tisch gelegt?«
Mit all der Überzeugungskraft, die er aufbringen konnte, sagte Ethan: »Was denn, klingt das ganze Schlamassel nicht auch so schon genug nach Akte X ? Sollen etwa noch ein paar Aliens, Vampire oder Werwölfe mitmischen?«
»Was soll das – willst du der Frage ausweichen?«
»Ich weiche überhaupt nicht aus«, sagte Ethan, nicht ohne zu bedauern, dass er gezwungen war, rundheraus zu lügen, statt irgendwie nur im Unklaren zu bleiben. »Ja, das ist alles, bis hin zu meinem Besuch im Blumenladen. Als du mich angerufen hast, saß ich bei einem Scotch.«
»Ganz ehrlich?«
»Ja. Ich habe Scotch getrunken, als du dich gemeldet hast.«
»Denk dran, du sitzt hier in einer Kirche!«
»Die ganze Welt ist eine Kirche, wenn man gläubig ist.«
»Und, bist du gläubig?«
»Ich war es.«
»Nicht mehr, seit Hannah tot ist, was?«
Ethan zuckte die Achseln. »Vielleicht bin ich gläubig, vielleicht auch nicht. Kommt auf den Tag an.«
Der Blick, mit dem Hazard ihn musterte, hätte eine Zwiebel schälen können, Schicht um Schicht bis zu der Perle im Kern. »Okay. Ich glaube dir.«
»Danke«, sagte Ethan, der sich dabei aber hundsmiserabel fühlte.
Hazard warf einen Blick nach hinten, um sich zu vergewissern, dass zwischenzeitlich keine verlorene Seele hereingekommen kann, um Gott um einen Gefallen zu bitten. »Du hast ausgepackt, also werde ich dir jetzt was erzählen. Allerdings musst du vergessen, dass du’s gehört hast.«
»Ich weiß nicht mal mehr, dass ich hier gewesen bin.«
»In Reynerds Wohnung war nicht viel von Interesse. Sparsam möbliert, alles schwarz und weiß.«
»Offenbar hat er wie ein Mönch gelebt, aber immerhin wie ein Mönch mit Stil.«
»Und mit Drogen. Er hatte eine Riesenportion Koks, bereits zum Weiterverkauf abgepackt, und ein Notizbuch mit Namen und Telefonnummern, das wahrscheinlich eine Kundenliste darstellt.«
»Bekannte Namen?«
»Eigentlich nicht. Ein paar Schauspieler, niemand von Bedeutung. Was dich aber interessieren dürfte, ist das Drehbuch, an dem er offensichtlich gerade geschrieben hat.«
»In dieser Stadt«, sagte Ethan, »gibt es mehr Typen, die Drehbücher schreiben, als solche, die ihre Frau betrügen.«
»Neben seinem Computer lag ein Stapel mit sechsundzwanzig Seiten.«
»Das reicht nicht mal fürs erste Drittel.«
»Du kennst dich mit Drehbüchern aus, was? Schreibst du etwa selbst an einem?«
»Nee«, sagte Ethan. »Schließlich hab ich noch einen Rest Selbstachtung.«
»Reynerds Held ist ein junger Schauspieler, der an der Uni einen Filmkurs belegt. Dabei entsteht eine – Zitat – ›tiefe intellektuelle Beziehung‹ zu dem Professor, der den Kurs leitet. Beide hassen eine Figur namens Cameron Mansfield, der zufälligerweise der größte Filmstar der Welt ist, und beschließen, ihn umzubringen.«
Erschöpft hatte Ethan sich an die Lehne sinken lassen. Nun richtete er sich wieder auf. »Was ist ihr Motiv?«
»Das ist nicht ganz klar. Am Rand hat Reynerd allerdings eine Menge Notizen hinterlassen, die vielleicht Aufschluss darüber geben. Um sich zu beweisen, dass sie wirklich den Mumm dazu haben,
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