Der Wächter
hektisch die Treppen erklommen und Fric angeschrien, wenn er ihr zufällig in den Weg gekommen war. So hätten die Redakteure der Zeitschrift People , die sie zweimal zu den schönsten Frauen der Welt gezählt hatten, sie bestimmt nicht wiedererkannt.
Offenkundig hatte sich die ganze Mühsal jedenfalls gelohnt. Mehr als einmal hatte der Schattenpapa zu Cassandra gesagt, sie sei eine tödliche Waffe, weil sie mit ihren Waden einem Mann den Schädel zerschmettern, mit den Oberschenkelmuskeln jedes Herz brechen und mit ihrem Hintern die gesamte Männerwelt in den Wahnsinn treiben könne.
Ha, ha, ha. Manche Witze stimulierten nicht die Lachmuskeln, sondern den Würgreflex.
Gegen Ende ihres Aufenthalts war Cassandra eines Tages die westliche Hintertreppe hinuntergestürzt und hatte sich den Knöchel gebrochen.
Das war echt lustig gewesen.
Fric folgte dem Ostflur nicht nur bis zu seinen Zimmern, sondern ging weiter bis zur letzten Tür rechts vor der Treppe.
Dahinter verbarg sich ein wenig eleganter Raum, etwa vier mal fünf Meter groß, mit einem soliden Dielenboden und kahlen weißen Wänden. Im Augenblick war er leer und fungierte lediglich als Zwischenstation für Dinge, die in den Dachboden befördert werden sollten oder von dort kamen.
Diesem Zweck diente ein geräumiger, von einem Elektromotor angetriebener Lastenaufzug, der bis zu zweihundert Kilogramm befördern konnte. Mit seiner Hilfe war es möglich, auf dem riesigen Dachboden selbst schwere Kisten und sperrige Gegenstände zu lagern. Eine Tür führte zu einer Wendeltreppe, über die man ebenfalls nach oben gelangte.
Fric nahm die Treppe. Vorsichtig erklomm er die Stufen und hielt sich mit einer Hand immer am Geländer fest. Er hatte Angst, dass seine diebische Freude über Cassandras Missgeschick ihm ebenfalls ein gebrochenes Bein bescheren könnte.
Der Dachboden erstreckte sich über die gesamte Länge und Breite des Hauses. Selbst dieser Raum war wohnlich hergerichtet: verputzte Wände, ein solider Dielenboden, der zwecks leichterer Reinigung mit Linoleum bedeckt war.
Kolonnaden aus massiven Balken stützten ein kunstvolles Gerüst aus Sparren, auf denen das Dach ruhte. Zwischen den Balken hatte man keine Wände eingezogen, sodass der Dachboden aus einem einzigen riesigen, offenen Raum bestand.
Trotzdem war es kaum möglich, problemlos von einem Ende zum anderen zu schauen, weil von den Dachsparren an Drähten hunderte riesige, gerahmte Filmplakate hingen. Jedes trug den Namen und das überlebensgroße Bild von Channing Manheim.
Frics Vater hatte bislang zwar nur zweiundzwanzig Filme gedreht, aber er sammelte die entsprechenden Souvenirs aus allen möglichen Ländern. Da seine Filme weltweit die Kinosäle füllten, gab es von jedem Projekt Dutzende von Plakaten.
Durch die hängenden Poster entstanden Wände und Zwischengänge. Dazu kamen Mauern aus zu hunderten aufgestapelten Kartons, die bis an den Rand mit Channing-Manheim-Denkwürdigkeiten gefüllt waren: T-Shirts mit seinem Porträt und/oder bekannten Sprüchen aus seinen Filmen, Armbanduhren, deren Zeiger über sein berühmtes Gesicht wanderten, Kaffeebecher mit seiner Visage, Mützen, Kappen, Jacken, Trinkgläser, Actionfiguren, Puppen, eine Unmenge Spielzeug, Unterwäsche, Medaillons, Imbissbehälter und weiterer Kram, den Fric längst vergessen hatte oder sich erst gar nicht vorstellen konnte.
An jeder Ecke standen lebens- und überlebensgroße Pappkameraden in Gestalt des Schattenpapas. Sie zeigten ihn als raubeinigen Cowboy, als Kommandanten eines Raumschiffs, als Marineoffizier, als Jetpiloten, als Dschungelforscher, als Kavallerieoffizier des 19. Jahrhunderts, als Arzt, als Boxer, als Polizisten und Feuerwehrmann …
Mehrteilige Pappdioramen präsentierten den größten Star der Welt inmitten einer ganzen Filmszene. Die Dinger waren einst in Kinofoyers aufgestellt worden. Viele hatten eine Überraschung parat. Mit Batterien versehen, zeigte sich, dass sie mit beweglichen Teilen und blinkenden Lichtern ausgestattet waren.
Coole Filmrequisiten lagen auf offenen Metallregalen oder lehnten an den Wänden. Futuristische Waffen, Feuerwehrhelme, Soldatenhelme, eine Ritterrüstung, eine mechanische Spinne, so groß wie ein Sessel …
Größere Requisiten wie die Zeitmaschine aus Unvollkommene Zukunft waren in einem Lagerhaus in Santa Monica untergebracht. Dieses wie auch der Dachboden waren mit museumstauglichen Heiz- und Befeuchtungsanlagen ausgestattet, um sicherzustellen, dass die
Weitere Kostenlose Bücher