Der Wächter
lieb. Aber wir können nicht mehr für ihn tun, als besonders feinfühlig mit ihm umzugehen, ihm Rat und Zuspruch zukommen zu lassen, wenn er darum bittet, aber auch, wenn er ihn zu brauchen scheint, ohne es zu sagen. Schon möglich, dass Fric sich über ein unerwartetes Weihnachtsgeschenk freuen würde, aber ich fürchte, sein Vater wäre nicht damit einverstanden.«
»Das klingt irgendwie aber, als ob er aus einem Grund nicht einverstanden wäre, der in den Richtlinien und praktischen Hinweisen gar nicht aufgeführt ist.«
Mrs. McBee hatte daraufhin eine geraume Weile vor sich hin gebrütet, als ginge sie im Geiste eine Version der Richtlinien durch, die wesentlich ausführlicher als das allen Angestellten überreichte Ringbuch war.
»Mr. Manheim ist kein schlechter Mensch«, hatte sie schließlich erwidert. »Er ist auch nicht herzlos, nur wird er irgendwie erdrückt von seinem Leben … Möglicherweise ist er auch allzu verliebt in den Glamour, der damit verbunden ist. Bis zu einem gewissen Grad weiß er, was er Fric nie gegeben hat, und er wünscht sich gewiss, dass das Verhältnis zu seinem Sohn anders wäre, aber er weiß nicht, wie er das ändern könnte, ohne das zu tun, was nötig ist, um der zu bleiben, der er ist. Deshalb verdrängt er es einfach. Aber wenn Sie nun ein Geschenk für Fric unter den Baum legen würden, dann kämen Mr. Manheims Schuldgefühle an die Oberfläche, und er wäre verletzt von dem, was Ihre Geste ausdrückt. Obwohl er sich Angestellten gegenüber sehr fair verhält, könnte ich nicht vorhersagen, wie er reagieren würde.«
»Wenn ich über diesen einsamen kleinen Jungen nachdenke, würde ich seinen Vater manchmal am liebsten packen, um ihm ein wenig Verstand einzutrichtern!«
Mrs. McBee hatte warnend die Hand gehoben. »Selbst wenn wir unter uns sind, schwatzen wir nicht über unseren Arbeitgeber, Mr. Truman. Das wäre undankbar und unanständig. Was ich gerade gesagt habe, war als freundlicher Rat gedacht, weil ich glaube, dass Sie ein wertvolles Mitglied des Personals sind und ein gutes Beispiel für Fric, der Sie aufmerksamer beobachtet, als Ihnen klar sein dürfte.«
In ihrem Brief war Mrs. McBee nun auf das Thema zurückgekommen, nachdem sie ihren Rat im Lauf des Tages offenbar noch einmal überdacht hatte: Was die heikle Frage eines unerwarteten Geschenks betrifft , möchte ich relativieren , was ich Ihnen heute Morgen gesagt habe . Ein kleiner und ganz besonderer Gegenstand , eher phantasievoll als kostspielig , den man nicht unter dem Baum , sondern anderswo und anonym hinterlassen würde , könnte dem Empfänger jene freudige Erregung bescheren , die Sie und ich an den Weihnachtstagen unserer Kindheit verspürt haben . Ich nehme an , Fric würde rein gefühlsmäßig sofort verstehen , dass hier Verschwiegenheit am Platz wäre . Abgesehen davon , würde er den Vorgang wohl schon deshalb für sich behalten , weil es einfach herrlich ist , ein solches Geheimnis zu haben . Allerdings muss es sich bei dem Geschenk um etwas wirklich Besonderes handeln , und ich rate zu größter Vorsicht . In diesem Sinne : Wenn Sie dies gelesen haben , zerreißen Sie es bitte und verschlucken Sie die Fetzen .
Ethan musste wieder lachen.
Im selben Augenblick flackerte am Telefon ein Lämpchen auf: Anschluss Nummer 24. Er sah, wie sich beim dritten Läuten der Anrufbeantworter meldete, woraufhin das Licht kontinuierlich brannte.
Er hatte keine Möglichkeit, das Computerprogramm aufzurufen und so zu ändern, dass er die Anrufe für die betreffende Nummer in seiner Wohnung entgegennehmen konnte. Nur die ersten dreiundzwanzig Nummern waren von ihm manipulierbar, außer Channing Manheim hatte nämlich lediglich Ming du Lac Zugriff auf den geheiligten letzten Anschluss. Eine Bitte, das zu ändern, hätte Ming so wütend gemacht, wie es ein spiritueller Guru überhaupt werden konnte, und das war so wütend wie eine Klapperschlange, die man mit einem angespitzten Stock ärgerte, mit Ausnahme des Rasselns und Fauchens.
Selbst wenn er Zugriff auf Anschluss 24 gehabt hätte, wäre Ethan nicht in der Lage gewesen, ein Telefonat mitzuhören, nachdem der Anrufbeantworter sich gemeldet hatte. Der Anrufbeantworter stellte eine Exklusivverbindung her, die dazu gedacht war, ein heimliches Mithören zu verhindern.
Bisher war Ethan nie auch nur ansatzweise so interessiert an Anschluss 24 gewesen wie an diesem Abend, und sein Interesse war ihm unheimlich. Wenn er es jemals schaffen wollte, sich
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