Der Wächter
und schloss den neuen an.
Die nun durch den Schlauch rinnende Lösung enthielt keine Droge. Corky wollte, dass sein ausgedörrter Gast später bei klarem Verstand war.
Nachdem er wieder nach seinem Martini gegriffen und einen Schluck genommen hatte, sagte er: »Ich komme nach dem Essen wieder«, und verließ das Zimmer.
Im Wohnzimmer blieb Corky am Kamin stehen, um sein Glas zu leeren und seiner Mama zu gedenken.
Leider war der historische Schürhaken nicht da, um in die Hand genommen, poliert und bewundert zu werden. Vor Jahren hatte die Polizei ihn in der großen Nacht zusammen mit vielen anderen Gegenständen als Beweismittel mitgenommen und nie zurückgebracht.
Corky war zu schlau gewesen, um eine Rückgabe zu verlangen. Vielleicht hätte die Polizei sonst geargwöhnt, dass das Ding einen Erinnerungswert für ihn hatte. Nach dem Tod seiner Mutter hatte er deshalb das gesamte Kaminbesteck erneuert.
Widerstrebend hatte er auch den Teppich ersetzt. Wären die Beamten von der Mordkommission in den Monaten nach dem Mord aus irgendeinem Grund noch einmal aufgekreuzt, so hätten sie zumindest die Stirn gerunzelt, wenn der blutbefleckte Teppich noch an Ort und Stelle gelegen hätte.
In der Küche wärmte er das chinesische Essen in der Mikrowelle auf. Hühnerfleisch mit Pilzen, Mushu-Schweinefleisch, Rindfleisch mit Chilischoten, natürlich Reis und eingelegter Kohl.
Corky konnte das ganze Essen unmöglich allein schaffen. Seit er damit begonnen hatte, Mr. Stinkerkäse systematisch auszuhungern, war er jedoch dazu übergegangen, sich ständig zu viel Nahrung zu besorgen.
Offenbar war das gespenstische Schauspiel von Stinkys Verfall nicht nur unterhaltsam, sondern unbewusst auch beunruhigend. Es weckte in Corky wohl eine tief liegende Angst vor Unterernährung.
Im Interesse seiner guten geistigen Gesundheit fuhr er deshalb fort, zu viel Essen mitzubringen, und genoss das therapeutische Vergnügen, den Überschuss in den Mülleimer zu werfen.
Wie meist in den vergangenen Monaten speiste Corky an diesem Abend am Tisch des Esszimmers, auf dem ein Stoß Blätter mit dem vollständigen Grundriss des Palazzo Rospo lag. Es waren Ausdrucke von mehreren Disketten aus dem Besitz des Architekturbüros, das die sechs Millionen Dollar teure Renovierung des Anwesens bald nach dem Kauf durch Manheim beaufsichtigt hatte.
Erneuert worden waren damals nicht nur die elektrischen Leitungen, die sanitären Einrichtungen, Heizung, Klimaanlage und das Audio-Video-System. Das riesige Haus war außerdem vollständig computerisiert und mit einem hochmodernen Sicherheitssystem ausgestattet worden, das problemlos ständig aufgerüstet werden konnte. Laut einem Gewährsmann, der in Corkys Diensten stand, war das in den vergangenen zwei Jahren tatsächlich mindestens einmal geschehen.
Wie ein launisches, lebendiges Etwas erhob sich die Nacht aus ihrer Lethargie und brachte einen grämlichen Wind hervor. Der Wind zischte um die Fenster und bastelte sich aus Zweigen Prothesenhände, mit denen er nach den Mauern des Hauses griff. Regenschauer prasselten ans Fensterglas, wenn er seinen großen, schwarzen Mantel schüttelte.
In karierten Kaschmir gehüllt, saß Corky Laputa in seinem warmen Esszimmer, betrachtete das chinesische Festmahl vor sich und sann über seine wertvolle, aufregende Mission nach. Selten hatte er sich so behaglich gefühlt; selten war er so froh gewesen, am Leben zu sein.
43
Wie üblich war das Schreiben von Mrs. McBee detailliert und geschäftsmäßig, aber auch freundlich gehalten. Es präsentierte sich in einer kalligrafischen Vollendung, die es zu einem kleinen Kunstwerk machte und ihm die Aura eines historischen Dokuments verlieh. Während Ethan es am Schreibtisch seines Arbeitszimmers durchlas, hörte er im Geiste den singenden Tonfall und den schwachen schottischen Akzent der Hausverwalterin.
Ethan, schrieb Mrs. McBee zur Begrüßung, habe hoffentlich einen erfolgreichen Tag hinter sich und sei in ebenso froher Festtagsstimmung wie sie selbst. Sie wolle ihn daran erinnern, dass sie mit ihrem Mann frühmorgens nach Santa Barbara aufbrechen werde, um dort zwei Tage bei der Familie ihres Sohnes zu verbringen. Mit ihrer Rückkehr sei am Vierundzwanzigsten Punkt neun Uhr morgens zu rechnen.
Zudem erinnerte sie Ethan daran, dass Santa Barbara nur eine Stunde weit entfernt sei. Falls ihr Rat gebraucht werde, sei sie jederzeit zu erreichen. Der Brief enthielt ihre Handynummer, die Ethan bereits kannte, und die
Weitere Kostenlose Bücher