Der Wächter
oder Porzellanarbeiten aus der Han-Dynastie. Die Wedgwood-Objekte hatten schon immer eine mattschwarze, nicht glänzende Oberfläche gehabt, und das chinesische Porzellan hatte seinen Glanz im Lauf von zweitausend Jahren längst verloren. Irgendwie hatte Fric sowieso keine Angst, dass die uralte Skulptur eines Pferdes oder ein vor Christi Geburt entstandenes Wassergefäß ein Guckloch darstellen könnten, durch das ihn ein heimtückisches Wesen von anderswoher beäugte.
An der Rückwand der Bibliothek führte eine Tür in eine Toilette. Fric klemmte einen Stuhl unter die Klinke, um sie zu versperren. Die Tür zu öffnen wagte er nicht, weil dahinter über dem Waschbecken ein Spiegel hing.
Diese vernünftige Vorsichtsmaßnahme führte zu einem Problem, das jedoch leicht gelöst werden konnte. Fric musste pinkeln, wozu er sich einfach des Topfs einer Palme bediente.
Sonst wusch er sich immer die Hände, wenn er auf der Toilette gewesen war. Diesmal musste er eben Infektion, Krankheit und Schlimmeres in Kauf nehmen.
Mindestens zwanzig Topfpalmen waren in dem großen Raum verteilt. Er prägte sich die ein, die er bereits gegossen hatte, um nicht den gesamten Regenwald der Bibliothek zu vernichten.
Dann ging er zu der Sitzecke neben dem Weihnachtsbaum mit seinem Bataillon schützender Engel zurück. Das hier war bestimmt ein sicherer Ort.
Zu dem Arrangement aus Sesseln und Fußschemeln gehörte auch ein Sofa. Fric wollte sich gerade auf der behelfsmäßigen Bettstatt ausstrecken, da wurde die Stille durch ein fröhliches, kinderfreundliches Geräusch gestört, das gut für Krippen und die Zimmer kleinerer Kinder geeignet war.
Uuudilih-uuudilih-uh .
Das Telefon stand auf einem Möbelstück, das Mrs. McBee als Sekretär bezeichnete, aus Frics Sicht jedoch einfach ein Schreibtisch war. Er stellte sich davor und beobachtete, wie das Lämpchen seines Privatanschlusses jedes Mal blinkte, wenn es läutete.
Uuudilih-uuudilih-uh .
Bestimmt nahm Mr. Truman nach dem dritten Klingeln ab.
Uuudilih-uuudilih-uh .
Mr. Truman reagierte nicht.
Das Telefon läutete zum vierten, dann zum fünften Mal.
Auch der Anrufbeantworter nahm den Anruf nicht entgegen.
Das sechste Läuten. Das siebte.
Fric weigerte sich, den Hörer abzunehmen.
Uuudilih-uuudilih-uh .
In seiner Wohnung hatte Ethan den Inhalt der sechs schwarzen Schachteln aus dem Schrank genommen und in der Reihenfolge des Eintreffens auf dem Schreibtisch angeordnet.
Den Computer hatte er ausgeschaltet.
Das Telefon war in Reichweite, damit er die Anrufe für Fric abfangen konnte, falls dessen Anschluss tatsächlich angewählt wurde. Außerdem hatte er das Lämpchen für Anschluss Nummer 24 im Auge, falls es neue Anrufe anzeigte. Offenbar nahm der Verkehr auf dieser für Botschaften aus dem Jenseits reservierten Leitung zu. Weshalb ihn das beunruhigte, war ihm zwar nicht ganz klar, aber er wollte die Lage im Blick behalten.
Eine Dose Cola in der Hand, saß er auf seinem Schreibtischsessel und studierte die Bestandteile des Rätsels.
Ein kleines Schraubglas enthielt zweiundzwanzig tote Maikäfer. Melolontha melolontha, aus der Familie der Scarabaeidae.
Daneben stand ein größeres Glas, in das er die toten Schnecken gelegt hatte. Ein mit jedem Tag scheußlicherer Anblick.
In einem Essiggurkenglas schwammen neun Vorhäute in Formaldehyd. Die zehnte war bei der Laboranalyse zerstört worden.
Die geschlossenen Vorhänge dämpften das scharfe Prasseln des Regens ans Fensterglas, die Drohungen des wütenden Windes.
Käfer, Schnecken, Vorhäute …
Aus irgendeinem Grund wanderte Ethans Blick zum Telefon, obwohl es nicht geläutet hatte. Weder die Anzeige von Anschluss 24 noch die einer der dreiundzwanzig anderen Leitungen brannte.
Er hob die Coladose zum Mund und nahm einen Schluck.
Käfer, Schnecken, Vorhäute …
UuiidiUh-uuiidilih-uh .
Vielleicht war Mr. Truman ausgerutscht und hatte sich den Kopf aufgeschlagen, und nun lag er bewusstlos da, ohne das Läuten wahrzunehmen. Vielleicht war er auch in ein Land jenseits eines Spiegels entführt worden. Möglicherweise hatte er aber auch bloß vergessen, das Computerprogramm so einzustellen, dass er Frics Privatanrufe entgegennehmen konnte.
Der Anrufer jedenfalls gab nicht auf. Nach einundzwanzig Wiederholungen der dämlichen, kinderfreundlichen Melodie beschloss Fric abzunehmen, damit er das Läuten nicht die ganze Nacht ertragen musste.
Obwohl das leichte Zittern seiner Stimme ihn bestürzte, meldete sich Fric
Weitere Kostenlose Bücher