Der Wächter
zweiten Martini und kehrte ins Gästezimmer hinten im Haus zurück, wo Mr. Stinkerkäse in derart ausgemergeltem Zustand im Bett lag, dass selbst völlig ausgehungerte Geier ihn als allzu magere Beute eingeschätzt und sich geweigert hätten, Totenwache zu halten.
Corky nannte ihn Stinkerkäse, weil er in den vielen Wochen, in denen er schon ungewaschen im Bett lag, einen Gestank angenommen hatte, der an viele unangenehme Dinge erinnerte, darunter gewisse besonders würzige Käsesorten.
Seit Stinky irgendwelchen festen Stuhlgang gehabt hatte, war eine lange Zeit vergangen. Aus dem Darm stammende Gerüche stellten daher kein Problem mehr dar.
Als Corky sein Opfer in die Finger bekommen hatte, hatte er ihn erst einmal katheterisiert, sodass er nie mit uringetränktem Bettzeug zu kämpfen gehabt hatte. Der Katheterschlauch führte in einen vier Liter fassenden Sammelbehälter aus Glas, der neben dem Bett stand und augenblicklich nur zu einem Viertel voll war.
Der saure, beißende Gestank rührte hauptsächlich von häufigem Angstschweiß her, der am Körper getrocknet war, und von natürlichen Körperölen, die sich so lange angesammelt hatten, dass sie ranzig geworden waren. Eine Ganzkörperreinigung mit dem Badeschwamm gehörte nicht zu den Diensten, die Corky anbot.
Im Gästezimmer angelangt, stellte er seinen Martini ab und griff nach einer Dose Desinfektionsspray mit Fichtennadelduft, die auf dem Nachttisch stand.
Stinky schloss die Augen, weil er wusste, was ihn nun erwartete.
Corky zog Laken und Decke bis zum Fußende herunter und besprühte seinen knochendürren Gefangenen ausgiebig von Kopf bis Fuß. Das war eine rasche und wirksame Methode, um den üblen Geruch für die Dauer der allabendlichen Plauderei auf ein annehmbares Niveau zu verringern.
Neben dem Bett stand ein Barhocker mit bequem gepolsterter Sitzfläche und Lehne. Corky kletterte hinauf.
Ein hoher, aus Eiche gezimmerter Pflanzenständer diente als Tisch. Nachdem Corky einen Schluck Martini genommen hatte, stellte er sein Glas darauf ab.
Dann betrachtete er Stinky eine Weile, ohne etwas zu sagen.
Natürlich sagte Stinky auch nichts. Auf schmerzhafte Weise hatte er erfahren müssen, dass es ihm in diesem Haus nicht anstand, eine Unterhaltung zu beginnen.
Außerdem war seine einst kräftige Stimme verfallen. Nun war sie schwächer als die eines unheilbar Tuberkulosekranken und von einem schaurigen Schnarren und Rasseln geprägt. Sie klang wie vom Wind getriebener Sand, der über uralten Stein scharrte, wie das spröde, flüsternde Klicken über den Boden huschender Käfer. Inzwischen jagte selbst Stinky der Klang der eigenen Stimme offenbar Angst ein, und da ihm das Sprechen sowieso wehtat, sagte er mit jedem Abend weniger.
In den ersten Tagen hatte Corky ihm den Mund zugeklebt, um ihn daran zu hindern, so laut zu schreien, dass die Nachbarn neugierig wurden. Jetzt war kein Klebeband mehr nötig, weil er gar nicht mehr in der Lage war, eine besorgniserregende Lautstärke hervorzubringen.
Obwohl Stinky mithilfe von Drogen in einem halb gelähmten Zustand gehalten wurde, war er anfangs ans Bett gekettet gewesen. Mit dem extremen Ausdörren seines Körpers und dem völligen Zusammenbruch seiner physischen Kraft waren die Ketten überflüssig geworden.
In Corkys Abwesenheit enthielt die Glukoseinfusion des Gefangenen immer Drogen, um ihn gefügig zu machen und an einem – inzwischen unwahrscheinlichen – Fluchtversuch zu hindern.
Am Abend durfte Stinky bei klarem Verstand sein – für die gemeinsamen Sitzungen.
Nun zuckten seine angsterfüllten Augen hin und her, wichen dem Anblick Corkys aus und wurden doch wieder magnetisch von ihm angezogen. Voller Grauen vor dem Kommenden lag er da.
Corky hatte den Mann im Bett nie geschlagen, hatte nie irgendwelche physische Folter angewendet. So etwas tat er nicht.
Mit Worten, ganz allein mit Worten hatte er seinem Gefangenen das Herz gebrochen, hatte dessen Hoffnung zerstört und dessen Selbstwertgefühl vernichtet. Mit Worten würde er ihm auch den Verstand brechen, falls Stinky nicht ohnehin schon wahnsinnig geworden war.
Stinkys echter Name lautete Maxwell Dalton. Er war Professor für Anglistik an derselben Universität gewesen, zu deren Lehrkörper Corky noch immer zählte.
Corky unterrichtete Literaturwissenschaft aus einer dekonstruktivistischen Perspektive. Er impfte seinen Studenten die Überzeugung ein, dass Sprache nie die Wirklichkeit darstellen könne, weil Worte sich nur auf
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