Der Wächter
tapfer mit: »Ermandos Eiskremparadies. Unser Monatsangebot: der Elefantenbecher. Wer ihn schafft, hat ausgelacht!«
»Hallo, Aelfric«, sagte der Mysteriöse Anrufer.
»Mir ist immer noch nicht klar, ob Sie ein perverser Spinner sind oder ein Freund, wie Sie behaupten. Ich hab den Eindruck, eher ein perverser Spinner.«
»Da hast du den falschen Eindruck. Schau dich um, dann findest du die Wahrheit, Aelfric!«
»Wonach soll ich mich umschauen?«
»Nach dem, was um dich herum in der Bibliothek ist.«
»Ich bin in der Küche.«
»Inzwischen sollte dir eigentlich klar sein, dass du mich nicht anlügen kannst.«
»Mein spezielles, geheimes Versteck ist einer von den großen Backöfen. Ich krieche hinein und ziehe von innen die Tür zu.«
»Dann solltest du dich lieber mit Butter bepinseln, Moloch wird nämlich einfach das Gas aufdrehen.«
»Moloch ist schon hier gewesen«, sagte Fric.
»Das war nicht Moloch, das war ich.«
Als er das hörte, hätte Fric fast den Hörer auf die Gabel geworfen.
»Ich habe dich besucht, Aelfric, weil du begreifen sollst, dass du tatsächlich in Gefahr bist und dass die Zeit wirklich knapp wird«, fuhr der Mysteriöse Anrufer fort. »Wenn ich Moloch gewesen wäre, dann wärst du jetzt erledigt.«
»Sie sind aus einem Spiegel gekommen«, sagte Fric, dessen Neugier und Verwunderung vorübergehend seine Angst verdrängten.
»Und ich bin wieder in einen zurückgegangen.«
»Wie funktioniert das, aus einem Spiegel zu kommen?«
»Für die Antwort musst du dich nur umschauen, Kleiner.«
Fric ließ den Blick durch die Bibliothek schweifen.
»Na, was siehst du?«, fragte der Mysteriöse Anrufer.
»Bücher.«
»Ach ja? In der Küche?«
»Ich bin in der Bibliothek.«
»Ach, die gute, alte Wahrheit. Das lässt mich hoffen, dass du zumindest um einen Teil deines Unglücks herumkommst. Was, außer Büchern, siehst du noch?«
»Einen Schreibtisch. Sessel. Ein Sofa.«
»Schau dich weiter um.«
»Da steht ein Weihnachtsbaum.«
»Na also.«
»Was also?«
»Was baumelt und schwirrt?«
»Wie bitte?«
»Was funkelt und flirrt?«
»Engel«, sagte Fric und starrte auf die strahlend weiße Schar, die sich mit ihren Trompeten und Harfen im Baum versammelt hatte.
»Ich reise durch Spiegel, durch Rauch und Nebel, durch Tore im Wasser, über Treppen aus Schatten, auf Straßen aus Mondlicht, durch Wünschen und Hoffen und schlichtes Erwarten. Mein Auto habe ich endgültig eingemottet.«
Verblüfft umklammerte Fric den Hörer so fest, dass ihm die Hand wehtat, so als könnte er auf diese Weise aus dem Spiegelmann weitere Erklärungen herauspressen.
Der Mysteriöse Anrufer erwiderte sein Schweigen mit Schweigen und wartete ab.
Fric hatte mit allerhand Verrücktheiten gerechnet, aber damit nicht.
Mit einer neuen Art von Zittern in der Stimme fragte er schließlich: »Wollen Sie mir etwa weismachen, dass Sie ein Engel sind?«
»Glaubst du denn, dass das möglich wäre?«
»Mein … Schutzengel?«
»Es ist sehr wichtig, was du glaubst, Aelfric«, sagte der Spiegelmann, statt direkt zu antworten. »In vieler Hinsicht ist die Welt das, was wir aus ihr machen. Wir selbst gestalten unsere Zukunft.«
»Mein Vater sagt, unsere Zukunft steht in den Sternen, und unser Schicksal steht schon fest, wenn wir geboren werden.«
»Es gibt allerhand Gründe, deinen Alten zu bewundern, aber was seine Meinung zum Thema Schicksal betrifft, hat er ’ne Menge Scheiße im Hirn.«
»Wow«, sagte Fric, »dürfen Engel ›Scheiße‹ sagen?«
»Ich hab’s ja gerade getan. Aber ich bin ziemlich neu in dem Job und mache durchaus ab und zu mal einen Fehler.«
»Sie tragen also noch Ihre Trainingsflügel.«
»Könnte man so sagen. Also, jedenfalls will ich nicht, dass dir etwas zustößt, Aelfric. Aber ich kann nicht allein für deinen Schutz sorgen. Du musst dich selbst vor Moloch retten, wenn er kommt.«
Käfer, Schnecken, Vorhäute …
Neben den Schraubgläsern stand die Keksdose in Katzenform, die mit hundertundsechzig Scrabble-Steinchen gefüllt war, jeweils vierzig mit den Buchstaben D, E, I und
L. Lied . Leid . Lied und Leid . Leid und Lied . Neben der Keksdose lag das Buch mit dem Titel Hel
fende Pfoten , verfasst von Donald Gainsworth, der einst Hunde für Blinde und für Rollstuhlfahrer abgerichtet hatte.
Käfer, Schnecken, Vorhäute, eine Keksdose mit Buchstaben, ein Buch …
Schließlich lag neben dem Buch der zugenähte Apfel, der nach dem Auftrennen der Naht ein Puppenauge preisgegeben
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