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Der Wächter

Der Wächter

Titel: Der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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die Nummer des Hotels und wählte sie. »Ich möchte mit einem Ihrer Gäste sprechen«, sagte er. »Die Zimmernummer weiß ich nicht, aber der Name lautet Duncan Whistler.«
    Nach einer Pause, in der die Dame am Empfang offenbar den Hotelcomputer befragte, sagte sie: »Es tut mir Leid, Sir, aber ein Mr. Whistler ist bei uns nicht abgestiegen.«
    Zuvor hatten nur einige Tischlampen hier und da den großen Raum erleuchtet, aber nun brannten alle Lampen auf den Tischen, an der Decke und in den Winkeln ebenso wie die Girlanden aus winzigen Glitzerbirnchen am Weihnachtsbaum. Die Bibliothek war so frei von Schatten wie ein Operationssaal, und doch war es Fric immer noch nicht hell genug.
    Er hatte das Telefon auf den Schreibtisch zurückgestellt. Dann hatte er es ausgesteckt.
    Wahrscheinlich läuteten jetzt sämtliche Apparate in seinen Räumen im zweiten Stock und würden das noch eine ganze Weile tun. Wenn die Hölle anrief, war sie bestimmt ziemlich hartnäckig. Er hatte nicht die Absicht, hinaufzugehen, um sich die Sache anzuhören.
    Er hatte einen Sessel zum Weihnachtsbaum gezogen, um in der Nähe der Engel zu sein.
    Schon möglich, dass man ihn als abergläubisch, kindisch, albern bezeichnen mochte, aber das war ihm egal. Diese verzweifelten Menschen am Telefon, diese Wesen …
    Er saß mit dem Rücken zum Baum, weil er sich darauf verließ, dass nichts auf der Welt durch all die Zweige voller Engel gelangen konnte, um ihn von hinten zu überrumpeln.
    Hätte er Mr. Truman nicht angelogen, dann hätte er jetzt geradewegs zur Wohnung des Sicherheitschefs gehen können, um Hilfe zu erlangen.
    Hier in Fricburg, USA, war es immer zwölf Uhr mittags, und der Sheriff konnte von den Bürgern keinen Beistand erwarten, wenn die Banditen, bereit zum letzten Showdown, in die Stadt geritten kamen.
    Ethan beendete das Gespräch mit der Empfangsdame des Hotels und griff nach dem Rest des Schinkenbrots. Noch bevor er hineinbeißen konnte, läutete einer seiner Telefonanschlüsse.
    Als er abnahm, hörte er nur Schweigen. Auch auf das zweite »Hallo?« hin kam keine Antwort.
    Er fragte sich, ob es sich wohl um Frics perversen Spinner handelte.
    Zu hören war allerdings kein schweres Atmen, weder anzüglich noch anderswie, nur die hohle Leere einer offenen Telefonleitung und ein atmosphärisches Knistern, so leise, dass es fast unhörbar war.
    So spät bekam Ethan nur selten Anrufe; es war bald Mitternacht. Deshalb und wegen der Dinge, die tagsüber vorgefallen waren, fand er selbst diese Stille bedeutsam.
    Ob sein Instinkt oder seine Phantasie im Spiel waren, wusste er nicht, aber er spürte die Anwesenheit eines anderen Menschen in der Leitung.
    In seiner Zeit als Polizist hatte er genügend Leute überwacht, um Geduld zu lernen. Also lauschte er dem Lauscher und tauschte Schweigen gegen Schweigen.
    Die Zeit verging; das Schinkenbrot wartete. Ethan war immer noch hungrig und hatte allmählich auch Durst auf ein Bier.
    Schließlich hörte er einen Schrei, der sich dreimal wiederholte. Die Stimme war nicht deshalb leise, weil sie geflüstert hätte oder matt gewesen wäre, sondern weil sie aus weiter Ferne kam und so zerbrechlich war wie das Trugbild eines Geräuschs.
    Wieder Schweigen, wieder verging Zeit, und dann erhob sich die Stimme von neuem, genauso brüchig wie zuvor und so schwach, dass Ethan nicht mit Bestimmtheit sagen konnte, ob sie von einem Mann oder einer Frau stammte. Es hätte sich sogar um den klagenden Schrei eines Vogels handeln können, der sich nun erneut dreimal wiederholte, gedämpft wie durch dichten Nebel.
    Ein Schnaufen erwartete Ethan nun nicht mehr.
    Obwohl das schwache Knistern nicht lauter geworden war, hatte es jetzt einen bedrohlichen Klang, so als prasselten die leisen Laute wie radioaktive Teilchen auf Ethans Trommelfell. Als die Stimme zum dritten Mal erklang, begnügte sie sich nicht mit dem kurzen Schrei, den sie bisher wiederholt hatte. Ethan nahm Muster wahr, die eindeutig irgendeinen Sinn ausdrücken sollten. Worte, die nicht ganz verständlich waren.
    Wie eine Sendung, die von einem fernen Radiosender in den stürmischen Äther ausgestrahlt wurde, wurden diese Worte durch Schwund und atmosphärische Störungen verzerrt. So mochte eine Stimme aus einer anderen Zeit klingen oder eine, die von Raumfahrern auf der Nachtseite des Saturn stammte.
    Ethan hatte nicht wahrgenommen, dass er sich weit vorgebeugt hatte. Auch wie er die Ellbogen auf die Knie gestützt hatte, wusste er nicht mehr, und doch

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