Der Wächter
auf bedenkliche Weise zusehends verschlechtere. »Ich mag gar nicht an den Tag denken, an dem sie bettlägerig wird«, hatte er gesagt, »aber wenn es so weit ist, dann will ich mich lieber selbst um sie kümmern, als sie fremden Leuten in einem Pflegeheim zu übergeben.«
Mary hatte erwidert, da sei er aber ein wirklich lieber Sohn, ein Kompliment, das Corky mit gespielter Demut zur Kenntnis genommen hatte. Die Verstellung fiel ihm nicht schwer, da er ohnehin log, was die Gesundheit seiner Mutter und seine eigenen Absichten betraf. In Wirklichkeit war das alte Aas so gesund wie Methusalem, als der noch sechshundert Jahre vor sich hatte. Corky spielte mit der Idee, ihr im Schlaf ein tödliches Gift zu injizieren.
Er war sich ziemlich sicher, dass Mary die Wahrheit ahnte. Trotzdem brachte sie ihm bei, was er wissen wollte.
Am Anfang hatte er den Eindruck, ihre Bereitschaft sei darauf zurückzuführen, dass sie scharf auf ihn war. Selbst rollige Dschungelkatzen kopulierten nicht mit der Wildheit und Häufigkeit, die Mary Noone und Corky in den wenigen Monaten ihres Zusammenseins an den Tag legten.
Später wurde ihm klar, dass Mary seine wahren Motive durchschaute, aber durchaus nicht ablehnte. Er hatte sogar den Verdacht, sie könnte einer dieser selbst ernannten Todesengel sein, die im Einklang mit der utilitaristischen Bioethik still und heimlich jene ihrer Patienten umbrachten, deren Leben sie für zu wenig lebenswert und nützlich für die Gesellschaft hielten.
Unter solchen Umständen wagte er es nicht, weiter ihr Sexspielzeug zu bleiben. Früher oder später würde sie festgenommen und vor Gericht gestellt werden, wie es Engeln ihrer Art für gewöhnlich blühte. Wenn Corky dann noch ihr Liebhaber war, nahm die Polizei ihn unter die Lupe, was sein Lebenswerk und womöglich sogar seine Freiheit gefährdet hätte.
Das war jedoch nicht der einzige Grund. Nachdem drei Monate ins Land gegangen waren, fühlte Corky sich immer unbehaglicher, wenn er das Bett mit Mary teilte. Als Liebhaber erreichte er wahrscheinlich eine hohe Punktzahl auf der einschlägigen Werteskala der lüsternen Krankenschwester, aber deshalb wusste er noch lange nicht, wie viel – oder wie wenig – er ihrer Meinung nach für die Gesellschaft wert war.
Als er vorsichtig angedeutet hatte, man solle sich in aller Freundschaft trennen, hatte Mary zu seiner Überraschung mit Erleichterung reagiert. Offenbar hatte sie ebenfalls nicht gut geschlafen.
Am Ende hatte er sich zwar entschieden, seine Mutter doch nicht mit einer Injektion zu beseitigen, aber die Mühe, sich die einschlägigen medizinischen Kenntnisse anzueignen, war nicht vergeblich gewesen.
In den Jahren, die seither vergangen waren, hatte er Mary nur zweimal wiedergesehen, beide Male bei Treffen von Bioethik-Anhängern. Die alte Leidenschaft zwischen ihnen war geblieben, aber auch der Argwohn.
Mit einem Geschick, das Mary Noone bewundert hätte, beendete Corky die Versorgung von Mr. Stinkerkäse.
Das Medikament würde Stinky körperlich lähmen, ohne ihn schläfrig zu machen oder in einen veränderten Bewusstseinszustand zu versetzen. Mit voller geistiger Klarheit konnte er den Tag damit verbringen, sich über den Tod von Frau und Tochter zu grämen.
»Jetzt muss ich natürlich die Leichen von Rachel und Emily beseitigen«, sagte Corky. Er genoss geradezu die Leichtigkeit, mit der er log. »Ich würde die Überreste ja den Schweinen vorwerfen, wenn ich bloß wüsste, wo hier in der Nähe eine Schweinefarm zu finden ist.«
Vor kurzem hatte er in der Zeitung von einer jungen Blondine gelesen, deren Leiche man in einer Kläranlage deponiert hatte. Unter Verwendung von Details aus dem Artikel beschrieb er phantasievoll das Becken voller menschlicher Exkremente, das angeblich auf Stinkys Frau und Tochter wartete.
Noch immer kein Herzanfall.
Am Abend, wenn er mit Aelfric Manheim zurückkehrte, wollte Corky dem Jungen diese ausgemergelte Elendsgestalt zeigen, um ihn auf die Schrecken vorzubereiten, die ihn erwarteten. Aelfrics Leiden würden sich allerdings etwas von dem unterscheiden, was dieser einst so arrogante Verehrer von Charles Dickens, Emily Dickinson, Leo Tolstoi und Mark Twain durchgemacht hatte. War der störrische Esel tagsüber immer noch nicht an einem Herzinfarkt gestorben, würde Corky ihn vor Mitternacht höchst eigenhändig umbringen.
Corky überließ Stinky den seltsamen Gedanken, die das Hirn eines Traditionalisten unter solchen Umständen bewegen mochten, und
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