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Der Wächter

Der Wächter

Titel: Der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Stinky in bittere Tränen ausgebrochen war, in Schluchzer, die durch den Zustand seines verdorrten Kehlkopfs merkwürdig unmenschlich und ziemlich ekelhaft geklungen hatten.
    Trotz seiner abgrundtiefen Verzweiflung hatte er jedoch nicht den Herzanfall erlitten, auf den Corky gehofft hatte.
    Statt seinen Gefangenen mit einem Beruhigungsmittel zu verwöhnen, hatte Corky ihm deshalb durch ein Ventil im Infusionsschlauch ein starkes Halluzinogen verabreicht. Es sollte bewirken, dass Stinky nicht einschlafen konnte und die finstersten Stunden zwischen Mitternacht und Morgengrauen mit höllischen Visionen über seine gepeinigte Frau verbrachte.
    Während Corky seinen Gast nun mit noch abscheulicheren Geschichten über die barbarische Schändung und die vielen grausamen Brutalitäten ergötzte, die er der jungen Emily angeblich zugefügt hatte, wurde er der neuen Tränen und Qualen allmählich überdrüssig. Unter den gegebenen Umständen wäre ein massiver Herzinfarkt eigentlich nicht zu viel verlangt gewesen, aber dieser Stinky schien einfach nicht kooperationsbereit zu sein.
    Für einen Mann, der Frau und Tochter angeblich mehr liebte als sein Leben, war Stinkys Überlebenswille durchaus ungebührlich. Schließlich glaubte er doch nun zu wissen, dass seine Familie nur noch aus verwesenden Kadavern bestand. Wahrscheinlich war er in dieser Hinsicht also auch nur ein Schwindler wie die meisten Traditionalisten, die ihren Glauben an Sprache, Bedeutung, Sinn und Prinzipien in die Welt posaunten.
    Ab und an sah Corky den blanken Zorn aufblitzen, der sich unter dem Gram des Mannes im Bett verbarg. Dann stieg brennender Hass in Stinkys Augen, nur um sofort in einem Meer aus Tränen zu versinken.
    Vielleicht klammerte Stinky sich nur noch ans Leben, weil er auf Rache hoffte. Der Bursche hatte Illusionen!
    Außerdem wirkte Hass nur zerstörend auf den Hasser. Mit ihrem vergeudeten Leben hatte Corkys Mutter die Wahrheit dieser Behauptung ja bewiesen.
    Gekonnt wechselte Corky die Infusion aus, nachdem er dem neuen Beutel eine Droge beigegeben hatte, die beim Konsumenten einen halb gelähmten Zustand hervorrief. Zwar besaß Stinky inzwischen so wenig Muskelgewebe, dass eine künstliche Paralyse wohl unnötig war, aber Corky wollte nichts dem Zufall überlassen.
    Um dem Chaos zu dienen, musste er paradoxerweise gut organisiert sein. Er brauchte eine Erfolgsstrategie und eine sorgfältig geplante Taktik, um diese Strategie durchzusetzen.
    Ohne Strategie und Taktik war man kein wahrer Verfechter des Chaos. Man war bloß jemand wie dieser Serienmörder Jeffrey Dahmer oder wie irgendeine schwachsinnige alte Tante, die hundert Katzen hielt und ihren Hinterhof mit unschön anzusehendem Gerümpel verschandelte.
    Vor fünf Jahren hatte Corky gelernt, wie man Injektionen verabreichte, wie man eine Kanüle in die Vene stach, wie man mit einem Tropf umging und wie man Frauen oder Männer katheterisierte. Inzwischen hatte er schon mehrere Gelegenheiten gehabt, diese Fertigkeiten einzusetzen, weshalb er die Instrumente und Geräte nun mit einem Geschick bediente, das jede Krankenschwester bewundert hätte.
    Tatsächlich war er auch von einer Krankenschwester instruiert worden. Sie hieß Mary Noone und hatte das Gesicht einer von Botticelli gemalten Madonna und die Augen eines Frettchens.
    Kennen gelernt hatte er Mary bei einer Party an der Universität, bei der sich Leute mit Interesse an utilitaristischer Bioethik getroffen hatten. Die Anhänger des Utilitarismus waren der Meinung, jedes Menschenleben könne nach seinem Wert für die Gesellschaft beurteilt werden; nach diesem Wert solle sich auch der Aufwand an medizinischer Behandlung richten. Letztlich lief das alles darauf hinaus, dass bestimmte Gruppen durch Vernachlässigung umgebracht werden sollten: Körperbehinderte, Kinder mit dem Downsyndrom, Menschen über sechzig mit Krankheiten, die eine teure Behandlung wie Dialyse oder eine Bypassoperation erforderten, aber auch viele andere.
    In der gelösten, anregenden Plauderstimmung dieser Party hatte es bei Corky und Mary Noone klick gemacht. Als man sie einander vorstellte, hatten sie beide ein Glas Rotwein in der Hand gehabt, und schon beim Nachschenken waren sie sich verfallen.
    Einige Wochen später hatte Corky seine neue Freundin gebeten, ihm zu zeigen, wie man Injektionen vornahm und Patienten mit intravenösen Infusionen am Leben erhielt. Das wolle er lernen, hatte er mit ernster Miene behauptet, weil die Gesundheit seiner Mutter sich

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