Der Wächter
farbigen Rücken, auf dem die obszönen Titel und gelegentlich auch Hardcore-Fotos prangten. Sie bildeten ein einziges erotisches Mosaik, das sich vom einen bis zum anderen Ende des Hauses ausbreitete und eine fast psychedelische Wirkung ausübte.
Nur die Arbeitsräume, das Wohnzimmer und Micks Schlafzimmer enthielten Möbel. In den anderen Räumen, auch im Esszimmer, waren nicht nur die Wände mit Videokassetten gepflastert; hier standen wie in einer Bücherei auch auf dem Boden verteilt Regale.
Seine Mahlzeiten nahm Mick entweder am Computer oder im Bett ein. Meist handelte es sich um Tiefkühlmenüs aus der Mikrowelle, wenn er sich nicht eine Pizza oder etwas vom Chinesen liefern ließ.
Es gab nur zwei Wände, die nicht mit vom Boden bis zur Decke reichenden Regalen versehen waren, und eine davon befand sich hier im Wohnzimmer. Sie war für vier große Plasmafernseher der Spitzenklasse und die dazugehörigen Geräte reserviert. Die zweite derartige Wand war im Schlafzimmer zu finden.
Die vier Plasmabildschirme hingen paarweise übereinander. Jeder war an einen eigenen DVD-Spieler und einen Videorekorder angeschlossen, die zusammen mit acht Lautsprechern und deren Verstärkern in Bodenregalen untergebracht waren.
Mick konnte vier Filme gleichzeitig laufen lassen und dabei nach Lust und Laune von einem Soundtrack zum anderen zappen. Er konnte sich aber auch alle vier Soundtracks simultan anhören, was er tatsächlich auch oft tat.
Trat man ins Wohnzimmer des Hauses, so wurde man normalerweise von einer wilden Symphonie aus Seufzen, Grunzen, Stöhnen, Ächzen, Quietschen, Zischen und Lust-schreien empfangen, von geflüsterten und geknurrten Obszönitäten und von rhythmischem Keuchen in den unterschiedlichsten Erregungsphasen. Schloss man die Augen, so fühlte man sich fast wie in einem von Getier wimmelnden tropischen Dschungel, dessen Bewohner sich allesamt gleichzeitig paarten.
Heute Nachmittag war keiner der vier Pornofilme mit Stöhnen untermalt. Mick hatte alle Rekorder auf stumm gestellt.
»Janelle war wirklich was Besonderes«, sagte Mick zärtlich und deutete mit dem Kinn auf die Videowand. »Ein cooles, swingendes Girl.«
Trotz seines fröhlichen Bart-Simpson-Pyjamas war Mick offenbar in trüber, nostalgischer Stimmung. Auf allen vier Bildschirmen liefen Klassiker aus Janelles umfangreicher Filmografie.
»Was sie da tut«, sagte Mick und zeigte auf den oberen rechten Bildschirm, »das hat niemand – niemand – vorher und nachher in irgendeinem Film zustande gebracht.«
»Wahrscheinlich ist niemand dazu in der Lage«, sagte Corky. Die erstaunliche Stellung, der Janelle sich dort gerade energisch hingab, bedurfte sichtlich ihrer legendären Geschmeidigkeit, etwas, wofür sie vielleicht als einziger Mensch genetisch prädestiniert gewesen war.
»Die vier Typen da lieben sie«, sagte Mick mit Blick auf das kleine Rudel Nebendarsteller. »Das siehst du doch, oder? Jeder dieser Typen liebt sie. Alle Männer haben Janelle geliebt. Sie war echt groovy.«
Sehnsucht und Wehmut sprachen aus Micks Stimme. Trotz seines hippen Hefnertums besaß er eine sentimentale Ader.
»Ich komme gerade aus Malibu«, sagte Corky. »Von Trotter.«
»Hast du den Knallkopf schon umgelegt?«
»Noch nicht. Du weißt, ich brauche ihn noch eine Weile.«
»He, schau dir das mal an!«
»Die Kleine ist wirklich phantastisch.«
»Man würde meinen, dass das wehtut.«
»Vielleicht hat es das auch getan«, sagte Corky.
»Janelle hat gesagt, nein, es hätte Spaß gemacht.«
»Sie hat wohl eine Menge Dehnübungen gemacht, was?«
»Dehnübungen waren ihr Job. Du wirst ihn doch umlegen, ja?«
»Das hab ich dir schließlich versprochen, oder etwa nicht?«
»Ich hab damit gerechnet, mit ihr alt zu werden«, sagte Mick.
»Ach, wirklich?«
»Na ja, auf jeden Fall ein wenig älter .«
»Vorläufig habe ich erst mal seine neue Porzellansammlung in Stücke geschossen.«
»Wertvoll?«
»Lladro.«
»Wirst du ihn foltern, bevor du ihn umbringst?«
»Klar.«
»Du bist ein wahrer Freund, Cork. Ein echter Kumpel.«
»Wir kennen uns ja auch schon ewig.«
»Über zwanzig Jahre«, sagte Mick.
»Damals war die Welt noch in einem wesentlich übleren Zustand«, sagte Corky. Natürlich sprach er aus der Perspektive eines Anarchisten.
»Inzwischen ist allerhand aus den Fugen gegangen«, sagte Mick und nickte. »Wenn auch nicht so schnell, wie wir uns das erträumt haben, als wir noch flotte junge Typen waren.«
Die beiden lächelten
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