Der Wächter
jedoch nicht loslassen; nicht weil seine Hände feucht vor Angst waren, sondern weil die Zeitung sich irgendwie statisch aufgeladen hatte und an ihm klebte.
Der Mysteriöse Anrufer auf dem Bild wurde lebendig, als handelte es sich nicht um ein Zeitungsfoto, sondern um einen winzigen Bildschirm. Warnend erhob er mitten aus der Los Angeles Times seine Stimme: » Moloch naht !«
Ohne sich daran zu erinnern, auch nur einen Schritt getan zu haben, stellte Fric fest, dass er durchs ganze Zimmer bis zur Tür gegangen war.
Er rang nach Atem, aber nicht wegen seines Asthmas. Sein Herz dröhnte lauter als der Donner, der zuvor den Himmel erschüttert hatte.
Die Times lag neben dem umgestürzten Picknickkorb auf dem Boden.
Während Fric zu ihr hinüberstarrte, erhob sie sich, wie von einer Sturmböe erfasst, vom Perserteppich, obwohl nicht einmal ein schwacher Luftzug spürbar war. Die einzelnen Blätter entfalteten sich und blühten auf; wenige Sekunden später hatten sie sich raschelnd und wirbelnd in eine hohe menschliche Gestalt verwandelt, als hätte da schon immer ein unsichtbarer Mann gestanden, an dessen Körper sich nun die fliegenden Blätter geheftet hatten.
Das sah nicht wie ein Schutzengel aus, obgleich es doch einer sein musste. Es fühlte sich … bedrohlich an.
Der Papiermann wandte sich von Fric ab und stürzte sich auf das Erkerfenster. Als die Zeitungen knisternd das Glas berührten, waren sie kein Papier mehr, sondern zu einem Schatten, einer fließenden Dunkelheit geworden, die in den geschliffenen Scheiben pulsierte, wie sie es am Vorabend im Schmuck des riesigen Christbaums getan hatte.
Das Phantom verblasste und wich schließlich endgültig, als wäre es durchs Glas in den Regen entschwunden und auf den Tropfen zu einem weit entfernten, unvorstellbaren Ort gereist.
Fric war wieder allein. Jedenfalls kam es ihm so vor.
65
Dr. Jonathan Spetz-Mogg lebte in einem teuren Viertel von Westwood. Sein schönes Domizil im Landhausstil war mit Zedernschindeln verkleidet, die so glänzten, dass selbst der Regen sie nicht dunkler machen konnte. Wahrscheinlich handelte es sich um künstliche Patina.
Spetz-Moggs britischer Akzent war exzentrisch genug, um sympathisch zu wirken, klang jedoch so unregelmäßig, dass er wahrscheinlich eher bei einem langen Aufenthalt im fernen England erworben worden war als durch Geburt und Kinderstube.
Der Professor hieß Ethan und Hazard in seinem Heim willkommen, aber eher unterwürfig als leutselig. Die Fragen, die ihm die beiden stellten, beantwortete er nicht im Geiste zuvorkommender Kooperation, sondern eher mit einem nervösen Wortschwall.
Er trug ein geräumiges FUBU-Shirt und tief sitzende Schlabberhosen mit großen Taschen an den Seiten. Alles in allem sah er so lächerlich aus wie jeder Weiße, der sich so wie ein cooler Rapper aus dem Ghetto zu kleiden versuchte, genauer gesagt doppelt so lächerlich, immerhin war er schon achtundvierzig. Jedes Mal, wenn er die Beine übereinander schlug, was er häufig tat, raschelten die weiten Hosen so laut, dass man kein Wort mehr verstand.
Möglicherweise trug er grundsätzlich eine Sonnenbrille, selbst im Haus. Momentan hatte er jedenfalls eine auf.
Die Brille setzte er fast so oft ab und auf, wie er die Beine übereinander schlug, wobei diese beiden Anzeichen für Nervosität nicht synchron waren. Offenbar konnte er sich nicht entscheiden, ob er eine bessere Chance hatte, die Befragung zu überleben, indem er ein offenes, treuherziges Bild bot oder indem er sich hinter getönten Gläsern versteckte.
Obwohl der Professor eindeutig der Ansicht war, dass es sich bei jedem Cop um einen brutalen Faschisten handelte, würde er nie auf die Barrikaden gehen, um diese Anschuldigung in die Welt zu schreien. Er war nicht etwa aufgebracht, weil zwei Vertreter des repressiven Polizeistaats in seinem Wohnzimmer saßen; er hatte einfach eine Heidenangst.
Auf jede Frage sprudelte als Antwort ein geschwätziges Durcheinander an Informationen aus ihm heraus. Er hoffte wohl, dass sein Wortschwall Ethan und Hazard aus der Tür schwemmte, bevor sie Schlagringe und Gummiknüppel aus der Tasche zogen.
Es handelte sich eindeutig nicht um den Professor, nach dem sie suchten. Womöglich ermunterte Spetz-Mogg andere, im Namen irgendwelcher Ideale Verbrechen zu begehen, aber ihm selbst fehlte dafür der Mumm.
Außerdem hatte er offenbar keine Zeit für Verbrechen. Zehn Sach- und Fachbücher sowie acht Romane gingen auf sein Konto. Abgesehen
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