Der Wächter
tiefe blaue Augen, die geheimnisvoll schimmerten.
Außerdem stellte Hazard fest, dass sie ungewöhnlich aufmerksam war. Nachdem sie telefonisch zugestimmt hatte, ihn zu empfangen, hatte sie bei seiner Ankunft schon Kaffee aufgebrüht. Sie servierte ihn im Wohnzimmer mit einem Teller Minimuffins und Butterkeksen.
Im Dienst wurden den Beamten der Mordkommission nur selten Erfrischungen angeboten, nie mit Damastservietten und schon gar nicht von den Frauen verschollener Männer, für die die Polizei beschämend wenig getan hatte.
Wie sich herausstellte, war Maxwell Dalton vor drei Monaten einfach verschwunden. Seine Frau hatte ihn als vermisst gemeldet, als er vier Stunden nach dem Ende eines Nachmittagsseminars an der Universität noch nicht nach Hause gekommen war.
Natürlich hatte die Polizei kein großes Interesse an einem Erwachsenen gezeigt, der gerade einmal vier Stunden vermisst wurde, und das hatte sich auch nicht großartig geändert, als daraus ein, zwei und drei Tage geworden waren.
»Offenbar«, sagte Rachel Dalton, »leben wir in einer Zeit, in der eine erstaunliche Zahl von Ehemännern – und Ehefrauen – zu einer Drogenorgie verschwindet oder plötzlich auf die Idee kommt, mit jemandem, den man gerade im Café kennen gelernt hat, eine Woche nach Mexiko zu fahren. Manche hauen auch einfach ganz ab. Als ich Ihren Kollegen erklärt habe, was für ein Mensch Maxwell ist, haben sie einfach nicht glauben wollen, dass es solch einen treuen Ehemann gibt. Sie waren fest davon überzeugt, dass er irgendwann wieder auftauchen würde – mit blutunterlaufenen Augen, einem betretenen Grinsen und einer Geschlechtskrankheit.«
Als Maxwell Daltons Abwesenheit schließlich lange genug gedauert hatte, um selbst in den Augen der heutigen Behörden ungewöhnlich zu erscheinen, hatte sich die Polizei dazu herabgelassen, offiziell eine Vermisstenanzeige aufzunehmen. Zu einer nennenswerten Suchaktion hatte das allerdings nicht geführt, zur herben Enttäuschung von Rachel Dalton, die fälschlicherweise angenommen hatte, einem solchen Fall werde fast so energisch nachgegangen wie einem Mord.
»Nicht, wenn es sich um einen Erwachsenen handelt«, sagte Hazard, »und wenn es keine Hinweise auf ein Gewaltverbrechen gibt. Wenn man seinen leeren Wagen gefunden hätte …«
Sein Wagen war jedoch genauso wenig gefunden worden wie seine leere Brieftasche oder irgendein anderer Gegenstand, der auf ein Verbrechen hingedeutet hätte. Maxwell Dalton hatte bei seinem Verschwinden nicht mehr Spuren hinterlassen als ein Schiff, das ins Bermudadreieck hinein-, aber nicht wieder hinausgefahren war.
»Die Frage hat man Ihnen bestimmt schon gestellt«, sagte Hazard, »aber hatte Ihr Mann eigentlich Feinde?«
»Er ist ein guter Mensch«, erwiderte Rachel Dalton, wie Hazard erwartet hatte. Dann fügte sie jedoch etwas Unerwartetes hinzu: »Und wie alle guten Menschen, die in einer düsteren Welt leben, hat er natürlich Feinde.«
»An wen denken Sie da beispielsweise?«
»An eine Verbrecherbande in dem Misthaufen, der sich Universität schimpft. Ach, ich sollte nicht so hart sein; da gibt’s auch viele anständige Leute. Leider ist das Institut für Anglistik in den Händen von Gangstern und Irren.«
»Sie meinen, jemand vom Institut könnte …«
»Unwahrscheinlich«, sagte Rachel. »Die schwatzen bloß, diese Leute, und meistens auch noch völlig sinnloses Zeug.« Sie bot Hazard eine zweite Tasse Kaffee an, und als er dankend ablehnte, fragte sie: »Wie hieß noch mal der Mann, dessen Tod Sie untersuchen?«
Hazard hatte ihr gerade genug gesagt, um seinen Fuß in die Tür zu bekommen, und hegte nicht die Absicht, jetzt mehr zu verraten. Er hatte noch nicht einmal erwähnt, dass er Reynerds Mörder bereits zur Strecke gebracht hatte. »Rolf Reynerd«, sagte er. »Er wurde gestern in West Hollywood erschossen.«
»Glauben Sie, dass dieser Fall mit meinem Mann zu tun haben könnte? Ich meine, nicht nur durch die Tatsache, dass dieser Reynerd an einem von Max’ Literaturkursen teilgenommen hat.«
»Möglich wäre es«, sagte Hazard, »aber es ist eher unwahrscheinlich. Ich würde Ihnen raten …«
Seltsamerweise machte das traurige Lächeln Rachel Dalton nur noch attraktiver. »Keine Angst, Detective«, entgegnete sie hinsichtlich Hazards unausgesprochenem Rat, »ich werde mir keine großen Hoffnungen machen. Aber ganz die Hoffnung aufgeben werde ich auch nicht, darauf können Sie sich verlassen.«
Als Hazard aufstand, um zu
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