Der Wächter
wie hochgejagte Motoren; sie gaben Fetzen bombastischer Musik und die Schreie virtueller Opfer von sich und leuchteten in allen erdenklichen Farben. Die Gier, mit der sie Vierteldollar- und Eindollarstücke schluckten, war noch größer als die, mit der der berühmte Pac-Man einst auf unzähligen Bildschirmen Kekse verschlungen hatte, in einer Zeit, die den Anwesenden wohl vorsintflutlich vorkam, falls sie überhaupt eine Ahnung davon hatten.
Während Corky zwischen den Maschinen umherspazierte, verteilte er kostenlos Drogen an die Kids.
Es waren kleine Plastikbeutel, die jeweils acht Portionen Ecstasy – von Schülern öffentlicher Schulen auch Extasy geschrieben – enthielten. Auf dem Etikett versprachen Blockbuchstaben FREE X und suggerierten: DENK DARAN, WER DEIN FREUND IST.
Corky gab sich als Dealer aus, der Werbung für sich machen wollte. Dabei rechnete er nicht damit, auch nur eines dieser Gören jemals wiederzusehen.
Manche der Kids nahmen die Beutel entgegen, weil sie sich cool dabei fühlten.
Andere zeigten kein Interesse. Aber niemand, der ablehnte, machte sich die Mühe, irgendjemand auf Corky aufmerksam zu machen. Als alte Petze war man nun einmal nicht besonders beliebt.
In einigen Fällen steckte Corky den Beutel in eine Jackentasche, ohne dass deren Besitzer es wahrnahm. Sollte der nur staunen, wenn er ihn später fand.
Manche würden das Zeug nehmen, andere würden es wegwerfen oder weiterschenken. Am Ende war es Corky jedenfalls gelungen, ein paar weitere Gehirne zu verseuchen.
Die reine Wahrheit: Er hatte kein Interesse daran, Süchtige hervorzubringen. Wäre das sein Ziel gewesen, dann hätte er Heroin oder Crack verteilt.
Wissenschaftliche Untersuchungen hatten ergeben, dass noch fünf Jahre nach der Einnahme einer einzigen Dosis Ecstasy Veränderungen im Gehirnstoffwechsel des Users zu beobachten waren. Bei regelmäßiger Verwendung konnte ein bleibender Hirnschaden eintreten.
Manche Onkologen und Neurologen waren der Meinung, dass der hohe Ecstasy-Konsum der Gegenwart in zukünftigen Jahrzehnten zu einer dramatischen Zunahme früh auftretender, bösartiger Gehirntumore führen konnte. Gerechnet wurde außerdem mit einer Schwächung der kognitiven Fähigkeiten bei hunderttausenden, wenn nicht gar Millionen von Bürgern.
Die acht kostenlosen Portionen würden zwar nicht dazu führen, dass über Nacht die gesamte Zivilisation zusammenbrach, aber Corky vertraute eben auf die langfristige Wirkung.
Er hatte nie mehr als fünfzehn Beutel bei sich, und sobald er mit der Verteilung begann, bemühte er sich, sie schnell loszuwerden. Zu clever, um sich erwischen zu lassen, hatte er die Spielhalle schon nach drei Minuten wieder verlassen.
Weil er nicht verweilen musste, um etwas zu verkaufen, hatte das Personal keine Chance, ihn zu bemerken. Sobald er den Raum verlassen hatte, war er nur noch ein ganz gewöhnlicher Kunde des Einkaufszentrums, der nichts Verdächtiges in der Tasche mit sich führte.
Bei Starbucks holte er sich einen großen Milchkaffee, den er an einem der Tische in der Wandelhalle trank, während er die Menschheit in all ihrer Absurdität vorbeiparadieren sah.
Nachdem er seinen Kaffee ausgetrunken hatte, ging er in ein Kaufhaus. Er brauchte Socken.
12
Die acht zu einem kleinen Hain gruppierten Bäume besaßen wunderschön knorrige Stämme. Sie hoben ihre prächtig gekrümmten Äste und schüttelten ihre anmutigen graugrünen Flechten im Wind, als wollten sie dem Unwetter gleichermaßen trotzen und es rühmen. Zu dieser Jahreszeit trugen sie keine Früchte, sodass statt Oliven nur Blätter auf den gepflasterten Fußweg fielen.
In die Zweige hatte man weihnachtliche Lichterketten geflochten, die zu dieser Stunde noch ausgeschaltet waren. Die mattfarbenen Birnen sehnten sich geradezu danach, in der Nacht zu funkeln.
Die fünfgeschossige Wohnanlage in Westwood, kaum eine Straße vom Wilshire Boulevard entfernt, war weder so eindrucksvoll wie manche anderen Gebäude in der Nachbarschaft noch groß genug, um einen Portier zu erfordern. Trotzdem hätte der Kaufpreis einer Wohnung hier selbst einen Schwertschlucker zum Würgen gebracht.
Ethan schritt über die Blätter des Friedens, ging unter den erloschenen Lichterketten hindurch und betrat schließlich eine öffentlich zugängliche Eingangshalle, die sowohl auf dem Boden als auch an den Wänden Marmorfliesen aufwies. Um die nächste Tür zu öffnen, bediente er sich eines Schlüssels.
Der gesicherte Raum hinter der Halle
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