Der Wächter
Zeit.«
»Moment«, sagte Fric noch, aber die Leitung war schon tot.
14
Schussbereit, die Mündung zur Decke gerichtet, pirschte Ethan durch das Schneckengehäuse von Dunny Whistlers Wohnung, bis er das Schlafzimmer erreicht hatte.
Eine der Nachttischlampen brannte. Am Kopfende des chinesischen Schlittenbetts hatte die Haushälterin kunstvoll Seidenkissen aus Cheongsam-Stoff arrangiert.
Auf dem Bett lagen außerdem verschiedene männliche Kleidungsstücke, die sich der Besitzer offenbar hastig vom Leib gerissen hatte. Hose, Hemd, Socken, Unterwäsche, alles zerknüllt, schmutzig, noch feucht vom Regen.
In der Ecke war ein Paar Schuhe gelandet.
Ethan wusste zwar nicht, was Dunny getragen hatte, als dieser aus der Leichenkammer des Krankenhauses spaziert war, aber er hätte dennoch keinen Penny gegen die Behauptung verwettet, dass es sich um diese Kleider handelte.
Als er zum Bett trat, nahm er den schwachen Gestank wahr, den er schon im Aufzug gerochen hatte. Seine Bestandteile waren nun leichter zu bestimmen als zuvor: kalter Schweiß, der Mief einer ranzigen Salbe auf Sulfatgrundlage, leichte Schwaden sauren Urins. Es war der Geruch eines Kranken, der lange im Bett gelegen hatte und nur mit Schwamm und Waschschüssel gereinigt worden war.
Ethan hörte ein leises Rauschen, das er zuerst für das Geräusch stärker fallenden Regens hielt. Dann wurde ihm klar, dass er dem herabströmenden Wasser in der Dusche nebenan lauschte.
Die Badezimmertür war angelehnt. Über die Schwelle drang das Rauschen, begleitet von einem Lichtspalt und feinen Schwaden Wasserdampf.
Vorsichtig drückte Ethan die Tür ganz auf.
Boden und Wände waren mit hell glänzendem Marmor verkleidet. In eine schwarze Granitplatte waren zwei schwarze Keramikwaschbecken mit Hähnen aus gebürstetem Gold eingelassen.
Der breite, facettierte Spiegel über den Becken war beschlagen und verweigerte ein klares Bild. Unter der milchigen Schicht bewegte sich Ethans verschwommene Gestalt wie ein seltsames, bleiches Etwas, das man unter der mit Schatten betupften Oberfläche eines Tümpels schwimmen sah.
Dunstschleier schwebten in der Luft.
In einer Ecke des Badezimmers befand sich eine WC-Kabine. Die Tür stand offen, die Toilette war sichtbar. Keine Menschenseele.
In dieser Toilette wäre Dunny um ein Haar ertrunken.
Die Nachbarn in einer der Wohnungen unter ihm hatten ihn verzweifelt um sein Leben kämpfen und um Hilfe rufen hören.
Auf ihren Anruf hin war bald die Polizei erschienen und hatte die Angreifer auf der Flucht erwischt. Dunny hatte halb bewusstlos vor der Toilette gelegen und Wasser ausgehustet.
Als der Rettungswagen eingetroffen war, war Dunny bereits ins Koma gefallen.
Seine Angreifer, die des Geldes oder der Rache wegen gekommen waren – vielleicht auch wegen beidem –, waren von ihm nicht in jüngster Zeit hinters Licht geführt worden. Sie hatten sechs Jahre im Gefängnis verbracht und waren bald nach ihrer Entlassung gekommen, um eine längst überfällige Rechnung zu begleichen.
Dunny mochte gehofft haben, sein verbrecherisches Leben weit hinter sich gelassen zu haben, aber in jener Nacht hatten ihn die alten Sünden wieder eingeholt.
Nun lagen zwei feuchte, schwarze Handtücher zerknüllt auf dem Boden des Badezimmers. Zwei trockene Handtücher hingen noch über dem Halter.
Vom Eingang aus gesehen, war die Dusche in der rechten hinteren Ecke installiert. Selbst wenn die Glastür nicht beschlagen gewesen wäre, hätte Ethan aus der Entfernung nicht hineinschauen können.
Während er auf die Kabine zuging, tauchte in ihm das Bild des Dunny Whistler auf, den er da drin zu überraschen glaubte. Kränklich blasse oder leblos graue Haut, die keine Reaktion auf die rötende Wirkung von heißem Wasser zeigte. Graue Augen, deren Weiß vom Purpurrot geplatzter Adern durchzogen war.
Die Waffe in der rechten Hand, griff er mit der linken nach der Tür und zog sie nach kurzem Zögern auf.
Die Kabine war leer. Das Wasser trommelte auf den Marmorboden und verschwand gluckernd im Abfluss.
Ethan beugte sich hinein, griff nach dem Hebel hinter der Kaskade und stellte sie ab.
Sofort stellte sich bei ihm das Gefühl ein, dass die plötzliche Stille nach dem Wasserrauschen seine Anwesenheit so lautstark wie eine Pressluftfanfare ausposaunte.
Nervös drehte er sich zum Eingang um, weil er irgendeine Reaktion erwartete, ohne recht zu wissen, was genau.
Obwohl das Wasser nun abgedreht war, stieg weiterhin feiner Dampf aus der
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