Der Wächter
macht die Eisenbahn, Fric?«
Diese Stimme hatte Fric noch nie gehört. Es war niemand vom Personal. Eindeutig ein Fremder.
Selbst die meisten Leute im Haus hatten keine Ahnung, dass Fric bei der elektrischen Eisenbahn war, und jemand von außerhalb konnte es erst recht nicht wissen.
»Woher wissen Sie von der Eisenbahn?«
»Ach, ich weiß eine Menge Dinge, die andere Leute nicht wissen«, sagte der Mann am anderen Ende. »Genau wie du, Fric, ganz genau wie du.«
Kunstfertig, wie sie waren, imitierten die Härchen in Frics Nacken die Wirkung umherhuschender Spinnen.
»Wer sind Sie?«
»Du kennst mich nicht. Wann kommt dein Vater aus Florida zurück?«
»Wenn Sie so gut Bescheid wissen, wieso sagen Sie es mir nicht selbst?«
»Am frühen Nachmittag des vierundzwanzigsten Dezember«, sagte der Fremde. »Am Weihnachtsabend.«
Fric war nicht sonderlich beeindruckt. Millionen Menschen wussten, wo sein alter Herr sich aufhielt und was er an Weihnachten vorhatte. Vor gerade einer Woche war der Schattenpapa in einer populären Sendung übers Showbiz aufgetreten, hatte über die aktuellen Dreharbeiten geplaudert und verkündet, wie sehr er sich darauf freue, zu den Feiertagen nach Hause zu fliegen.
»Fric, ich möchte gern dein Freund sein.«
»Sind Sie etwa ein Kinderschänder?«
Von Kinderschändern hatte Fric schon allerhand gehört. Verdammt, wahrscheinlich hatte er sogar schon hunderte davon getroffen. Er wusste zwar nicht, was sie einem Kind alles antun konnten, und er war sich auch nicht ganz sicher, was sie am liebsten taten, aber er wusste, dass sie da draußen mit ihren Sammlungen kindlicher Augäpfel und ihren Halsketten aus den Knochen ihrer Opfer lauerten.
»Ich will dir überhaupt nicht wehtun«, sagte der Fremde, was zweifellos auch jeder Kinderschänder von sich behauptet hätte. »Ganz im Gegenteil. Ich will dir helfen, Fric.«
»Wobei wollen Sie mir helfen?«
»Zu überleben.«
»Wie heißen Sie?«
»Ich habe keinen Namen.«
»Alle Leute haben einen Namen, und wenn’s bloß ein einziger ist, wie Cher oder Godzilla.«
»Ich nicht. Ich bin nur eine namenlose Stimme aus der Menge. Es gibt Ärger, lieber Fric, und darauf musst du vorbereitet sein.«
»Was für Ärger?«
»Kennst du einen Ort in deinem Haus, an dem du dich verstecken könntest, ohne dass man dich findet?«, fragte
der Fremde.
»Das ist aber ’ne komische Frage.«
»Du brauchst ein Versteck, wo dich niemand finden kann, Fric. Ein gutes, spezielles, geheimes Versteck.«
»Vor wem soll ich mich denn verstecken?«
»Das darf ich dir nicht sagen. Nennen wir es einfach die Bestie in Gelb. Aber du brauchst wirklich schon in Bälde so ein Versteck.«
Fric hätte auflegen sollen, das wusste er. Möglicherweise war es nicht ungefährlich, auf diesen Spinner einzugehen. Wahrscheinlich war er ein mieser, feiger Kinderschänder, der zufällig Frics Telefonnummer herausbekommen hatte und früher oder später damit anfing, schmutzige Sachen zu sagen. Eventuell war der Typ aber auch ein Magier, der einen aus der Ferne verfluchen konnte, oder ein heimtückischer Psychologe, der einen Jungen wie Fric übers Telefon hypnotisieren und auf diese Weise zwingen konnte, Getränkemärkte auszurauben und die ganze Beute abzuliefern, während er sich ins Fäustchen lachte.
Fric legte nicht auf, behielt diese und viele weitere Gefahren aber im Hinterkopf. Schließlich war es das bei weitem interessanteste Telefongespräch, das er je geführt hatte.
Um vorzubeugen, falls der Typ ohne Namen gleichzeitig der war, vor dem er sich eventuell verstecken musste, sagte Fric: »Ich habe aber Bodyguards, und die sind mit Maschinenpistolen ausgerüstet.«
»Das stimmt nicht, Aelfric. Lügen haben kurze Beine und bringen dir nur Unglück. Das Haus, in dem du bist, ist gut geschützt, aber nicht gut genug, wenn die Zeit kommt und die Bestie in Gelb sich zeigt.«
»Natürlich stimmt es«, sagte Fric verschlagen. »Meine Bodyguards waren früher alle bei der Delta Force, und davor war einer von ihnen sogar Mister Universum. Die nehmen es mit jedem auf, da können Sie Gift drauf nehmen.«
Der Fremde gab keine Antwort.
Nach einigen Sekunden sagte Fric: »Hallo? Sind Sie noch da?«
Nun flüsterte der Mann. »Fric, ich glaube, da kommt Besuch. Ich rufe später wieder an.« Das Flüstern wurde zu einem so leisen Raunen, dass Fric die Ohren spitzen musste. »Und du fängst inzwischen an, nach diesem guten, ganz speziellen Versteck zu suchen. Du hast nicht viel
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