Der Wächter
zitterten.
Als er die Treppe zum vierten Stock erklomm, bemerkte er wieder den Duft von Seife und Rasierwasser. Diesmal nahm er jedoch noch einen weiteren, schwer zu bestimmenden Geruch wahr, der ihm weniger sauber, aber umso beunruhigender vorkam.
In welchem Zustand Dunny Whistler sich auch befand, er war doch bestimmt ein lebendiger Mensch und keine lebende Leiche. Wieso hätte ein wandelnder Toter wohl nach Hause kommen sollen, um zu duschen, sich zu rasieren und saubere Kleider anzuziehen? Absurd.
In der Küche der Wohnung angelangt, fand Ethan dort einen Handstaubsauger, mit dem er die Glassplitter des Bilderrahmens beseitigte.
Im Spülbecken sah er einen Löffel und eine offene Großpackung Eiskrem. Offenbar waren frisch Auferstandene ziemlich scharf auf Schokoladeneis.
Ethan stellte die Eiskrem in den Gefrierschrank und brachte den leeren Bilderrahmen ins Arbeitszimmer zurück.
Dann durchquerte er das Schlafzimmer, blieb kurz vor der Schwelle des Bads jedoch stehen. Eigentlich hatte er vorgehabt, noch einmal in den Spiegel zu schauen, um festzustellen, ob dieser noch beschlagen war und ob sich im Glas etwas bewegte, was da nicht hingehörte.
Nun kam ihm die Idee, aktiv nach dem Phantom zu suchen, plötzlich nicht mehr so gut vor. Er machte kehrt, ging in den Flur, schaltete die Lichter aus, verließ die Wohnung und schloss ab.
Während er nach unten fuhr, dachte er: Aus demselben Grund , aus dem der sprichwörtliche Wolf sich einen Schafspelz überwirft , um unentdeckt unter den Lämmern umherzustreifen .
Deshalb musste ein wandelnder Toter duschen, sich rasieren und in einen guten Anzug schlüpfen.
Obwohl Ethan in einem ganz normalen Aufzug steckte, kam er sich vor wie Alice bei ihrem freien Fall hinab ins Dunkel der Kaninchenhöhle.
16
Nachdem Fric die Züge stillgelegt hatte, überließ er die dreckigen Nazis ihren bösen Plänen, lief aus der Unwirklichkeit des Eisenbahnzimmers in die Unwirklichkeit der millionenschweren Automobilsammlung in der Garage und rannte dort auf die Treppe zu.
Er hätte den Aufzug nehmen sollen, aber der kabellose Mechanismus, der die Kabine mittels einer kraftvollen Hydraulik hob und senkte, wäre für seinen momentanen Gemütszustand zu langsam gewesen.
Frics Motor jagte nur so dahin. Das Telefongespräch mit dem unheimlichen Fremden – dem er den Namen »Mysteriöser Anrufer« gegeben hatte – war erstklassiger Treibstoff für einen Jungen mit einem langweiligen Dasein, einer fieberhaften Phantasie und einer Menge unerfüllter Stunden.
Er erklomm die Stufen nicht, er attackierte sie. Er packte das Geländer, um sich mit kräftigen Sprüngen vom Untergeschoss zwei, vier, sechs, acht lange Treppenfluchten in die zweite und damit oberste Etage des Palazzo Rospo zu katapultieren, wo sich seine Zimmer befanden.
Wahrscheinlich kannte nur Fric die Bedeutung des Namens, den der Bauherr seinem Domizil gegeben hatte: Palazzo Rospo. Natürlich wusste so gut wie jedermann, dass palazzo das italienische Wort für »Palast« war, aber offenbar hatte niemand eine Ahnung, was rospo bedeutete, eine Hand voll überheblicher Filmregisseure aus Europa vielleicht ausgenommen.
Ehrlich gesagt, war es den meisten Besuchern der Villa piepegal, wie sie hieß und was ihr klangvoller Name eigentlich bedeutete. Sie hatten wichtigere Dinge im Kopf – die Einspielergebnisse vom Wochenende beispielsweise; die TV-Zuschauerquote des letzten Abends; das Managerkarussell in den Filmstudios und Fernsehsendern; die Frage, wer in dem neuesten Deal übers Ohr gehauen werden sollte, um wie viel man ihn übers Ohr hauen und wie man ihn becircen sollte, damit er nicht merkte, dass er übers Ohr gehauen wurde; das Problem, eine neue Quelle für Kokain zu finden; und die Überlegung, ob die eigene Karriere sich womöglich noch besser entwickelt hätte, wenn man schon im zarten Alter von achtzehn Jahren zum Schönheitschirurgen marschiert wäre.
Unter den wenigen, die einen Gedanken an den Namen des Anwesens verschwendeten, gab es konkurrierende Ansichten.
Manche meinten, das Haus sei nach einem berühmten italienischen Staatsmann, Philosophen oder Architekten benannt. Die Zahl der Personen in der Filmindustrie, die eine gewisse Ahnung von Staatsmännern, Philosophen und Architekten hatten, war fast so klein wie die Zahl derer, die in der Lage gewesen wären, einen Vortrag über die Struktur der Materie im subatomaren Bereich zu halten. Deshalb fand diese Vorstellung viel Anklang und wurde nie
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