Der Wächter
Spender. Nachdem er die Handtücher gründlich befeuchtet hatte, drückte er sie schnell zu einer Reihe fester Kugeln zusammen, die er daraufhin in drei der sechs Waschbecken in den Abfluss stopfte.
Neuerdings waren die meisten öffentlichen Toiletten mit Wasserhähnen zum Drücken ausgestattet, die eine bestimmte Zeit lang sprudelten und sich dann automatisch abstellten. Hier jedoch hatten die Hähne noch altmodische Drehgriffe.
An den drei zugestopften Waschbecken drehte Corky das Wasser so stark wie möglich auf.
Der Ablauf in der Mitte des Bodens hätte seine Pläne zunichte machen können. Er schob den großen Abfalleimer, halb voll mit gebrauchten Papierhandtüchern, über die Öffnung, um sie abzudecken.
Dann griff er nach seiner Einkaufstasche – sie enthielt neue Socken, Unterwäsche und eine lederne Brieftasche aus dem Kaufhaus, ferner ein hübsches Messer aus einer Küchenboutique, deren Sortiment auf die Fans von Kochsendungen zugeschnitten war – und sah zu, wie sich die Waschbecken mit Wasser füllten.
Eine Handbreit über dem Boden war ein großer Belüftungsschlitz in die Wand eingelassen. Wenn das Wasser so hoch stieg, sich in die Heizungsanlage ergoss und durch die Wände strömte, wurde aus dem harmlosen Schlamassel womöglich eine kostspielige Katastrophe, die mehrere Geschäfte ruinierte und den Alltag der Angestellten empfindlich durcheinander brachte.
Eins, zwei, drei, schon liefen die Waschbecken über. Drei kleine Wasserfälle ergossen sich auf den Boden.
Zum Klang plätschernden Wassers und verdünnter Pearl Jam verließ Corky Laputa mit einem Lächeln auf den Lippen die Toilette.
Der Flur vor der Herren- und Damentoilette lag verlassen da, weshalb er unbesorgt seine Einkaufstasche absetzen konnte.
Aus einer Tasche seines Sportsakkos zog er eine breite Rolle Isolierband. Auf Abenteuer war er immer vorbereitet.
Das Band verwendete er, um den Spalt zwischen der Unterkante der Tür und der Schwelle zu versiegeln. An den Seiten des Rahmens schloss die Tür dicht genug, um das steigende Wasser zurückzuhalten, weshalb er dort kein zusätzliches Band verkleben musste.
Aus seiner Brieftasche nahm er anschließend einen gefalteten, zehn mal zwanzig Zentimeter großen Aufkleber. Er faltete ihn auf, zog die Schutzfolie ab und klebte ihn an die Tür.
Rote Lettern auf weißem Grund verkündeten: AUSSER BETRIEB.
Bei einem Wachmann des Einkaufszentrums würde der Aufkleber wohl Verdacht erregen, aber wenn Kunden ihn sahen, wandten sie sich bestimmt ohne weitere Nachforschungen ab und suchten sofort eine andere Toilette auf.
Nun war Corkys Werk an diesem Ort vollendet. Wie viel Schaden das Wasser letztlich anrichtete, blieb dem Schicksal überlassen.
In Toiletten und den Fluren davor waren Überwachungskameras verboten. Bislang war er in der Nähe des Tatorts also noch nicht auf Video aufgenommen worden.
Der L-förmige Flur, von dem die Toiletten abgingen, führte zur oberen Wandelhalle des Einkaufszentrums, das permanent überwacht wurde. Die Position der Kameras, die auf die Zugänge zum Flur gerichtet waren, hatte Corky längst zuvor ausgekundschaftet.
Als er den Flur nun verließ, wandte er unauffällig das Gesicht von den Objektiven ab. Mit geducktem Kopf mischte er sich rasch unter die Menge.
Wenn das Wachpersonal später die Videobänder studierte, fiel ihm womöglich auf, dass Corky zum ungefähren Zeitpunkt des Wandalismus den Flur betreten und verlassen hatte. Eine brauchbare Aufnahme von Corkys Gesicht würde man aber nicht zur Verfügung haben.
Er hatte sich bewusst unauffällig gekleidet, um besser im Gedränge unterzugehen. Wenn man die Aufnahmen der anderswo angebrachten Videokameras betrachtete, würde man ihn nicht so leicht mit dem Mann in Verbindung bringen, der kurz vor der Sintflut die Toilette aufgesucht hatte.
Darüber hinaus wurden die Kameras durch die teils glitzernde, teils mit künstlichem Schnee überzogene Festtagsdekoration behindert, die so herrlich üppig war, dass sie das übliche Blickfeld einschränkte.
Das Dekor des Winterwunderlands vermied sowohl konkrete als auch symbolische Hinweise auf Weihnachten: keine Engel, keine Krippen, keine Bilder von Santa Claus, keine fleißigen Helferlein, keine Rentiere, keine herkömmlichen Ornamente – und statt festlich bunter Lichterketten gab es nur winzige weiße Glitzerbirnchen. Überall schimmerten Kunststoffgirlanden mit Eiszapfen aus glänzender Alufolie; von der Decke hingen tausende Fäden mit
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