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Der Wächter

Der Wächter

Titel: Der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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an ihrem Hochzeitstag.
    Er wusste nicht, wieso er so oft kam; schließlich lag nicht Hannah hier, sondern es waren nur ihre Gebeine. Nur in seinem Herzen lebte sie weiter und war immer bei ihm.
    Manchmal glaubte er, nicht so sehr an diesen Ort zu kommen, um sich an sie zu erinnern – sie war nämlich nicht im Mindesten vergessen –, als um das leere Grab neben ihr zu betrachten, den kahlen Granitsockel, auf dem eines Tages eine Bronzetafel mit seinem Namen befestigt werden würde.
    Mit seinen siebenunddreißig Jahren war er allerdings noch zu jung, um den Tod herbeizusehnen. Das Leben hatte ihm vorläufig mehr zu bieten. Trotzdem hatte Ethan selbst fünf Jahre nach Hannahs Tod noch immer das Gefühl, etwas von ihm sei mit ihr gestorben.
    In den zwölf Jahren ihrer Ehe hatten sie es immer aufgeschoben, Kinder zu bekommen. Schließlich waren sie so jung gewesen, da schien keine Eile geboten zu sein.
    Niemand hätte erwartet, dass eine lebhafte, schöne, erst zweiunddreißig Jahre alte Frau plötzlich an einem heimtückischen Krebsgeschwür erkranken und vier Monate später tot sein könnte. Als die Krankheit Hannahs Leben forderte, galt das auch für die Kinder, die sie vielleicht zur Welt gebracht hätte, und für die Enkelkinder.
    In gewissem Sinne war Ethan tatsächlich mit ihr gestorben: der Ethan, der ein liebevoller Vater für die Kinder gewesen wäre, die Hannahs Charme geerbt hätten; der Ethan, der viele Jahrzehnte lang ihre Gesellschaft genossen hätte und gemeinsam mit ihr alt geworden wäre.
    Wenn er ihr Grab nun geöffnet und leer vorgefunden hätte, wäre er wohl überrascht gewesen.
    Was er jedoch statt eines geschändeten Grabes vorfand, war zwar unerwartet, überraschte ihn jedoch nicht.
    Vor der Bronzetafel lagen zwei Dutzend frische langstielige Rosen. Im Blumenladen hatte man sie mit steifem Zellophan umhüllt, das die Blüten nun vor dem prasselnden Regen schützte.
    Es waren Teehybriden, eine leuchtend rote Varietät namens Broadway. Von allen Rosen, die Hannah liebte und züchtete, hatte sie diese Sorte am meisten gemocht.
    Ethan drehte sich langsam um die eigene Achse und ließ den Blick über den Friedhof schweifen. Nirgendwo auf den sanft an- und absteigenden Rasenflächen bewegte sich eine menschliche Gestalt.
    Mit besonderem Argwohn betrachtete Ethan jeden Wacholder, jede Eiche. Soweit er das beurteilen konnte, verbarg sich hinter den Stämmen kein lauernder Beobachter.
    Auf der schmalen, kurvenreichen Straße, die zum Friedhof führte, fuhr kein Auto. Ethans Geländewagen – weiß wie der Winter, schimmernd wie Eis – war das einzige Fahrzeug, das am Straßenrand parkte.
    Hinter den Mauern des Friedhofs ragten in Regen- und Nebelschleiern hohe Häuser auf, weniger wie eine reale Stadt als wie eine Metropole eines Traums. Kein Verkehrslärm, kein Hupen drang von dem Straßenlabyrinth herüber, so als hätten sich alle Einwohner schon lange in dem stillen, grasigen Boden, der Ethan umgab, schlafen gelegt.
    Sein Blick fiel wieder auf den Blumenstrauß. Die Broadway war eine Rose, die sich nicht nur durch ihre üppige Farbe, sondern auch durch ihren feinen Duft auszeichnete. Sie blühte in jedem sonnigen Garten und war resistenter gegen Mehltau als viele andere Arten.
    Vor Gericht hätte man zwei Dutzend Rosen, die jemand auf einem Grab gefunden hatte, nicht als Beweismittel zugelassen. Für Ethan jedoch waren die prächtigen Blüten Beweis genug für das seltsame Werben eines Toten um eine Tote.

20
    In einer unauffälligen Limousine saß Hazard Yancy unmittelbar vor Rolf Reynerds Apartmenthaus in West Hollywood, steckte sich einen Walnusskeks in den Mund und spülte ihn dann mit Kaffee aus der Thermosflasche hinunter.
    Die frühwinterliche Dämmerung war erst in etwa einer halben Stunde zu erwarten, doch unter dem Mantel des Unwetters war die Stadt schon vor einer Stunde in einem frühen Zwielicht versunken. Von fotoelektrischen Sensoren ausgelöst, waren die Straßenlaternen bereits aufgeflammt und warfen nun ihren stählernen Schein auf die Regennadeln, die das graue Gewebe des Himmels immer fester an den Boden nähten.
    Es sah zwar so aus, als würde Hazard auf Kosten seiner Dienstzeit Kekse futtern, aber in Wirklichkeit überlegte er, wie er sich an Reynerd heranmachen sollte.
    Nach dem Mittagessen mit Ethan war er an seinen Schreibtisch in der Mordkommission zurückgekehrt. Dann hatte er sich mit Tastatur, Internet und Telefon an die Arbeit gemacht und innerhalb zweier Stunden eine

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