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Der Wächter

Der Wächter

Titel: Der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Psychose schon mal für Spiderman hielt, wild in seiner Wohnung umherwirbelte und versuchte, Spinnfäden aus den Handgelenken zu schütteln.
    Hazard ließ seinen Dienstausweis aufblitzen, verbreitete eine ganze Wagenladung Bockmist darüber, dass Jerry Nemo angeblich des Totschlags an Carter Cook verdächtigt werde, und gelangte so schnell in die Wohnung, dass ihm noch drinnen der Regen von den Ohrläppchen tropfte.
    Reynerd bemühte sich offenkundig, seinen Körper durch Krafttraining und Proteinpulver in Hochform zu bringen. Wahrscheinlich musste er jeden Morgen ein Dutzend rohe Eier verschlingen, nur um die Muskelmasse in seinem rechten Trizeps bei Laune zu halten.
    Im direkten Vergleich war Hazard Yancy zwar massiger und zweifellos cleverer, aber er nahm sich trotzdem vor, auf der Hut zu sein.
    Reynerd schloss die Wohnungstür. Während er Hazard ins Wohnzimmer führte, drückte er seine aufrichtige Bereitschaft aus, sich kooperativ zu verhalten, und seine aufrichtige Überzeugung, dass sein guter Freund Jerry Nemo keiner Fliege etwas zuleid tun könne.
    Unabhängig von der Frage, ob Nemo nun ein wahrer Fliegenfreund war oder nicht, war Reynerds Aufrichtigkeit so faustdick aufgetragen wie die jener Gestalten in lila Dinosaurierkostümen, die frühmorgens im Kinderprogramm auftraten, um den lieben Kleinen allerhand Lebensweisheiten zu vermitteln.
    Falls Reynerds darstellerische Fähigkeiten genauso miserabel waren, wenn er für eine Seifenoper engagiert wurde, dann war es kein Wunder, wenn die Autoren seinen Auftritt rasch mit einem tödlichen Autounfall oder einem rasant wuchernden Gehirntumor beendeten. Das Publikum hätte womöglich ein blutiges Ende vorgezogen, zum Beispiel durch eine Schrotflinte im Aufzug.
    Möbel, Teppichboden, Jalousien, Fotos von Vögeln: alles in der Wohnung war schwarz-weiß. Im Fernseher lief ein alter Schwarz-Weiß-Film, in dem Clark Gable und Claudette Colbert demonstrierten, was Schauspielerei eigentlich bedeutete.
    Um im Einklang mit der Wohnungseinrichtung zu sein, trug der Busenfreund von Jerry Nemo schwarze Hosen und ein schwarz-weißes Sporthemd.
    Auf die Aufforderung seines Gastgebers hin ließ Hazard sich auf dem Sessel nieder. Er hockte sich aber nur auf die Kante, damit er, falls nötig, schneller aufstehen konnte.
    Reynerd nahm die Fernbedienung vom Couchtisch, ließ Gable mitten im Satz und Colbert mitten in der Reaktion auf das Gesagte erstarren und setzte sich aufs Sofa.
    Die einzige Farbe im Zimmer boten Reynerds blaue Augen und das grelle Design der zwei Tüten Kartoffelchips, die ihn auf dem Sofa flankierten.
    Die Tüte zu seiner Linken enthielt Chips nach hawaiischer Art, die zu seiner Rechten eine Kreation mit saurer Sahne und Schnittlauch. Welch ein Gourmet!
    Hazard hatte Ethans rätselhafte, aber drastische Warnung vor Behältern mit Knabberzeug nicht vergessen.
    Beide Tüten waren offen und standen aufrecht da. Sie waren so bauchig, dass sie voll aussahen. Hazard roch das leicht ölige Aroma der Chips.
    Falls die Tüten nicht nur Chips, sondern auch je eine Handfeuerwaffe enthielten, konnte Hazard letztere nicht riechen. Sehen konnte er sie auch nicht, weil die Tüten aus Alufolie und deshalb nicht durchsichtig waren.
    Reynerd hatte die Handflächen auf die Oberschenkel gelegt und leckte sich die Lippen, als wollte er jeden Augenblick nach einem salzigen Snack greifen. Er deutete mit dem Kinn auf das erstarrte Bild im Fernseher. »Das wäre das perfekte Medium für mich gewesen«, sagte er. »Ich bin einfach zu spät geboren. Wenn ich damals gelebt hätte …«
    »Was meinen Sie mit ›damals‹?«, fragte Ethan, weil er wusste, dass Verdächtige oft am meisten preisgaben, wenn man sie zum Plaudern brachte.
    »Die Zeit von 1930 bis 1950. Als alle Filme schwarzweiß waren. Damals wäre ich ein Star gewesen.«
    »Tatsächlich?«
    »Meine Persönlichkeit ist zu stark für den Farbfilm. Da bringe ich die Leinwand zur Detonation. Ich überwältige das Medium genauso wie die Zuschauer.«
    »Mir ist nicht klar, wieso das ein Problem sein sollte.«
    »Seit die Ära des Farbfilms angebrochen ist, haben die meisten erfolgreichen Stars eine flache, seichte Persönlichkeit. Zwei Zentimeter breit, einen Zentimeter tief.«
    »Und wie kommt das?«
    »Die Farbe, die von modernen Kameras erzeugte Schärfentiefe, die Surround-Sound-Technik – das ganze Zeug macht aus seichten Persönlichkeiten überlebensgroße Gestalten. Es verschafft ihnen eine wirksame Illusion von Substanz

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