Der Wächter
»dass der heilige Duncan, nach dem Sie getauft sind, der Patron vieler Arten von Wächtern und Beschützern ist und dass er Ihnen helfen wird, Ihre Arbeit standhaft und mit Einfallsreichtum zu verrichten, wenn Sie ihn darum bitten?«
»Tatsächlich?«, sagt Dunny mit dünnem Lächeln. »Komisch, was?«
Typhon tätschelt ihm wohlwollend den Arm. »Soweit ich gesehen habe, sind Sie ohnehin ein erstaunlich einfallsreicher Mann.«
Eine Weile beschäftigt sich Dunny ausschließlich mit seinem Pinot Grigio. »Meinen Sie, dass er das alles lebend überstehen wird?«, fragt er dann.
Typhon schluckt seine letzte Auster hinunter. »Ethan? Bis zu einem gewissen Grad hängt das von Ihnen ab.«
»Aber nur bis zu einem gewissen Grad.«
»Tja, Sie wissen ja, wie solche Sachen laufen. Wahrscheinlich wird er Weihnachten nicht mehr erleben. Aber seine Lage ist nicht ganz hoffnungslos; das ist sie nie.«
»Und was ist mit den anderen Menschen im Palazzo Rospo?«
Mit seinem weißen Haar, den rundlichen Gesichtszügen und den funkelnden blauen Augen fehlt Typhon nur noch der Bart, um wie der Weihnachtsmann auszusehen. Sein liebenswürdiges Gesicht eignet sich nicht für eine finstere Miene. Deshalb sieht er befremdlich fröhlich aus, als er sagt: »Ich glaube nicht, dass ein erfahrener Buchmacher denen eine große Quote geben würde. Nicht angesichts von jemandem wie Mr. Laputa, der nicht nur ein gewalttätiges Temperament besitzt, sondern auch eisern entschlossen ist, das zu bekommen, was er will.«
»Selbst den Jungen?«
»Besonders den Jungen«, sagt Typhon. »Besonders den.«
33
Völlig fertig, verängstigt und frustriert ging Fric vom Weinkeller in die Bibliothek. Er nahm einen indirekten Weg, auf dem es am wenigsten wahrscheinlich war, einem Mitglied des Personals zu begegnen.
Wie ein Geist, wie ein Phantom, wie ein Junge mit einer Tarnkappe schlich er durch Zimmer, Flure und über Treppen. Niemand in dem großen Haus bemerkte ihn, was teilweise daran lag, dass er die seltene Begabung zu katzenhafter Heimlichkeit besaß, teilweise jedoch auch daran, weil niemand, Mrs. McBee womöglich ausgenommen, sich darum kümmerte, wo zum Teufel er gerade war und was er vorhatte.
Klein, dünn und unbeachtet zu sein war nicht immer von Nachteil. Wenn die Kräfte des Bösen sich in Form zahlloser dunkler Bataillone gegen einen verschworen hatten, dann erhöhte ein unscheinbares Auftreten die Chance, ein grässliches Schicksal zu vermeiden, beispielsweise aufgeschlitzt, enthauptet oder in die seelenlosen Legionen der lebenden Toten eingereiht zu werden.
Als die Quasimama das letzte Mal da gewesen war, was nicht ganz so weit im Nebel der Vergangenheit lag wie die Ära von Mastodon und Säbelzahntiger, hatte sie zu Fric gesagt, er sei eine Maus: »Ein süßes Mäuschen, das nie jemand wahrnimmt, weil es so still ist, so flink und so grau, so flink wie der graue Schatten eines durch die Luft schießenden Vogels. Du bist eine kleine Maus, Aelfric, eine fast unsichtbare, richtige kleine Maus.«
Freddie Nielander gab eine Menge dummer Dinge von sich.
Fric nahm ihr nichts davon übel.
Sie war schon so lange so wunderschön, dass niemand ihr wirklich zuhörte. Alle waren sie immer überwältigt von ihrer optischen Wirkung.
Wenn einem nie jemand wirklich zuhörte, dann konnte man durchaus allmählich die Fähigkeit verlieren, zu beurteilen, ob man etwas Sinnvolles von sich gab oder nicht.
Fric wusste um diese Gefahr, weil ihm auch nie jemand wirklich zuhörte. In seinem Falle waren die Leute allerdings nicht gerade überwältigt von der optischen Wirkung, die er hinterließ.
Ausnahmslos alle, die Freddie Nielander erblickten, liebten sie und wollten, dass sie dieses Gefühl erwiderte. Selbst wenn sie ihr tatsächlich zugehört hätten, hätten sie ihr nicht widersprochen; und selbst wenn Freddies Sprüche keinerlei Sinn ergaben, bewunderte man ihren Esprit.
Die arme Freddie bekam keinerlei ehrliche Rückmeldung außer von ihrem Frisierspiegel. Da war es ein schier unbegreifliches Wunder, dass sie nicht schon vor langer Zeit so übergeschnappt war wie Ratten auf einer Atommülldeponie.
In der Bibliothek eingetroffen, sah Fric, dass die Möbel in der Leseecke neben dem Eingang etwas umgestellt worden waren, um Platz für einen dreieinhalb Meter hohen Weihnachtsbaum zu schaffen. Der frische Waldgeruch der Nadeln war so stark, dass Fric sich nicht gewundert hätte, wenn Eichhörnchen auf den Sesseln gehockt und in den antiken
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