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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Preisendörfer
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Passage schwingt zwischen Trauer und Kitsch, zwischen Gefühl und Empfindelei, zwischen innerer und äußerer Natur. Das schwache Nervensystem und das schlechte Wetter lassen Tränen und Regentropfen ineinander verschwimmen. Und im Subtext unter der Haut des Hingeschriebenen klingt die Elegie. Bey dem Grabe meines Vaters des Göttinger Hainbund-Dichters Hölty (1748 – 1776). Seume hat ihn immer bewundert, wie er noch in Mein Leben betont:
»Das beste von Hölty wusste ich damals [in Halifax] auswendig […] Die Elegie am Grabe eines Dorfmädchens und am Grabe seines Vaters sind für mich noch jetzt [beim Schreiben der Autobiographie] die lieblichste Wehmut, die ich in der Literatur kenne.«
    Auf dem weiteren Weg seiner Kurzreise in die Erinnerung durchfährt er den Landstrich seiner Geburt, macht Station bei seiner Schwester und vergnügt sich mit deren Kindern.
»Es ist etwas eigenes um den Zauber der Kindheit. Ehemals war mir alles so groß, so weit, so herrlich, so feierlich; jetzt ist es mir so klein, so enge, aber doch so heimisch, so traulich, dass ich mit aller meiner Welt von Petersburg bis Syrakus hier wohl wieder Knabe werden könnte.«
    Und weil ihm so heimatlich eng ums Herz wird mit all dieser Welt in der weitgereisten Brust, bricht der Sterbenskranke – nein, nicht wieder in Tränen wie während der Vorbeifahrt am Grab des Vaters, sondern in Reime aus und besingt die eigene Geburt:
»Dort steht noch, im Dorf in der Mitte,
Die freundliche friedliche Hütte,
Wo einst mich die Mutter gebar,
Der Vater dann jauchzte vor Freuden,
Dass glücklich der Knabe nun beiden
Zum Leben geboren war.«
    In der zweiten Strophe kommt er dann auf das kindliche Vorspiel seiner militärischen Lebensleidenschaft zu sprechen:
»Dort ritt ich mit großer Beschwerde
Gar tapfer die hölzernen Pferde
Und dachte sehr wichtig dabei;
Dort war ich ein Feldherr nicht ärmlich,
Und schlug unbarmherzig erbärmlich
Mit meinen Soldaten von Blei.«
    Nachdem Seume seine »väterliche Flur sehr zufrieden« verlassen hatte, durchquerte er das Gebiet bei Jena und Auerstedt, auf dem keine vier Jahre zuvor die preußische Armee von Napoleon geschlagen worden war. Und wie schon in seinen beiden großen Reisebüchern macht er sich auch in diesem kleinen Bericht von seiner letzten »Ausflucht« Gedanken über militärisches Gelände. Die »Deutschen«, schreibt er, haben verwirrt agiert, ihre Stellungen nicht zu nutzen gewusst:
»Nicht die Überlegenheit der französischen Waffen hat gesiegt; sondern die Schwäche des deutschen Geistes ist geschlagen worden.«
    Es folgen einige Erwägungen, wie man es besser hätte machen können, dann mündet der Bericht von dieser Fahrt durch alte persönliche und jüngste welthistorische Geschichtslandschaften in die Gegenwart zurück und wendet sich Weimar, dem Wirtshaus und Wieland zu:
»Als ich in Weimar mein Reisebündel im Gasthofe zum Erbprinzen gehörig geborgen und für meinen Leichnam auf den Abend und die Nacht alles gehörig besorgt hatte, wandelte ich über den Markt hin, die Esplanade hinauf, vor Thaliens Tempel vorbei, zu Vater Wieland. Die Hauptabsicht meiner Reise war […], den alten Herrn zu sehen, der sich immer so patriarchalisch freundlich meiner angenommen hat und den ich mit jedem neuen Wiedersehen höher schätze und lieber gewinne.«
    Seume, der leicht kränkbare und schnell verletzte, fühlt sich gut aufgenommen, von Wieland und bei Hof, und wie immer, wenn er mit den anderen zufrieden ist, gibt er sich auch zufrieden mit den Umständen. Darf er die Huld der Großen genießen, zeigt er sich versöhnlich im Kleinen. Ein »Fürstenfeind« sei er nicht, nur mache die »Verworfenheit der Menschen« es ihnen so schwer, »echt gut und vernünftig zu werden und zu bleiben«. Das In-Schutz-Nehmen der höchsten Fürsten und obersten Feldherrn bei gleichzeitig heftiger Kritik am Adel als privilegiertem Stand zwischen Volk und Fürst ist typisch für Seume und begegnet in allen seinen politischen und militärischen Schriften. Diese publizistisch häufig klargestellte und politisch doch immer unklar gebliebene Haltung des Spätaufklärers Seume bleibt in einer Tradition, deren Spuren bis in die Frühzeit der Aufklärung zurückführen.
    Am Ende des Berichts über den Weimarer Aufenthalt notiert Seume trocken »Nun fuhr ich eben so wieder nach Hause«, erwähnt rasch den erneuten Besuch bei der Schwester auf der Rückfahrt und fixiert abschließend den Status des Textes:
»Es wird Ihnen gewiss

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