Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)
Klinger Seume gemacht hatte,
»und fragte, warum ich das nicht wollte? Ich sagte ihr sogleich mit Wahrheit den Hauptgrund, dass ich in meinem Vaterlande eine alte Mutter habe, der ich für meine Entfernung durch nichts Ersatz geben könne […] Ihre Majestät werden das Gefühl gehörig würdigen, da Sie selbst Mutter sind. Dawider ist nichts zu sagen, dawider ist gar nichts zu sagen: sprach sie mit sichtbarer Zufriedenheit.«
Auch Seume ist mit der Begegnung sichtbar nachlesbar zufrieden. Von einem General, dem er einst gedient hatte, wurde er nicht vorgelassen, aber eine Fürstin hat ihn empfangen. Wie schon auf der Schifffahrt nach Halifax ist wieder die mittlere Macht zu tadeln, während die große ein Lob verdient:
»Man glaubt wohl mit Recht, dass in keinem Fürstenhause mehr Innigkeit und freundliche Humanität, mehr Güte und wahre Aufklärung herrscht, als in der hiesigen kaiserlichen Familie.«
Kein »Edelmann ist gerecht und vernünftig als solcher«, heißt es in den Passagen über Dorpat, »sondern nur in so fern er aufhört, es zu sein«. Die Könige und Kaiserinnen aber können bleiben, wer sie sind, und trotzdem »gerecht und vernünftig« sein.
Nach dem zweiten Petersburger Aufenthalt reiste Seume über Wiburg (Vyborg) nach Abo (Turku) in Finnland. Dann querte er den Bottnischen Meerbusen. Während der Überfahrt kommt es zu einem schlimmen Rückfall in seine »Erbsünde«, Seume bedichtet Schiller:
»Liebenswürdig war der Mann als Dichter;
Und der Dichter es noch mehr als Mann.
Glücklich wer wie er so viel Gesichter,
So viel Herzen, auch als strenger Richter,
Auf den guten Weg erheitern kann.«
In Schweden besuchte er Uppsala und Stockholm, querte den Sund nach Kopenhagen und kehrte über Kiel, Lübeck, Hamburg und Halberstadt nach Leipzig zurück. Am 30. September 1805 lässt er Hartknoch, den Verleger des Spaziergang , wissen,
»dass ich wieder in meiner Klause zu St.Thomas [also der Thomasschule] in Leipzig angelangt bin. […] Ich bin in einiger Verlegenheit, nicht um Geld, sondern über einen Fall im Leben und Handeln. […] Sie sind mein Freund; Göschen ist es von noch älteren Zeiten her. Er war der erste, den ich kennen lernte, als ich als Halbhurone ziemlich verwildert aus Amerika kam: unsere guten Verhältnisse sind seitdem nie unterbrochen worden. […] Er wünscht, wie ich merke, dass ich für ihn etwas schreiben möchte, und es würde sehr unfreundlich sein, wenn ich mich weigerte […] Ich bin nicht ganz gewiss, ob ich Ihnen ein Versprechen gegeben habe oder nicht. Wort zu halten ist die erste Pflicht eines Mannes. Es würde mir lieb sein, wenn es mit Ihrer Genehmigung geschehen könnte, dass ich Göschen das Produkt meiner jetzigen Musestunden gäbe«,
also das Buch über die Reise nach Osten und Norden. Doch hat weder Göschen noch Hartknoch das Werk gedruckt. Im November 1806 berichtet Seume an Münchhausen:
»Von meiner Reise nach dem Norden, die nun schon sehr alt ist, kann ich Ihnen wenig sagen. Ich ging nach Petersburg und Moskau, durch Finnland und den bothnischen Meerbusen nach Stockholm und von da über Kopenhagen und Hamburg nach Hause. Voilà tout. Das Ganze habe ich drucken lassen, ungefähr wie meinen Spaziergang nach Syrakus, und es ist betitelt: Mein Sommer 1805. […] Der Inhalt ist nach meiner Weise sehr fragmentarisch und freimütig über alles; Sitten, Gebräuche, Statistik, Kultur und den ganzen Farrago [etwa: Mischmasch] des menschlichen Lebens.«
Fragmentarisch und freimütig über alles – das ist eine recht passende Selbstcharakterisierung von Seumes Schriftstellerei. Und das Freimütige an ihr war der Grund, warum die Formulierung, »das Ganze habe ich drucken lassen«, wörtlich zu nehmen ist. Weder Göschen noch Hartknoch wollten das Risiko auf sich nehmen, Seumes Sommer zu publizieren. Das Buch wurde bei Junker in Rudolstadt gedruckt, im Auftrag Göschens und auf Seumes Rechnung. Es wurde in Russland, Österreich und in den französisch besetzten Gebieten Süddeutschlands verboten. Zu dezidiert antiklerikal und antiaristokratisch war die Haltung des Autors, zu forciert der kritische Ton des Textes.
Mein Sommer konnte im Unterschied zum Spaziergang kaum Wirkung entfalten. Doch gibt es über das Buch eine anrührende Stelle in einem Brief Therese Hubers an Göschen. Therese Huber, Tochter des Göttinger Professors Christian Gottlob Heyne, war mit Georg Forster verheiratet gewesen – in glückloser Ehe. Als Forster 1794 in Paris starb, war das
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