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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Preisendörfer
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nach bürgerlichen Maßstäben, auch denen seiner Zeit. Aber ohne dieses Scheitern wäre er nicht so erfolgreich »unser Seume« geworden, wie Böttiger, »Vater Gleim« und »Vater Wieland«, Freund Schnorr von Carolsfeld und Chef Göschen ihn nannten.
    Der Vater und die Väter
    In der eigentümlichen Schrift Warum ist der Schmerz der Eltern bei dem Verluste kleiner Kinder größer und heftiger als bei dem Verluste erwachsener? kommt Seume auch auf den umgekehrten Fall zu sprechen, den heftigeren Schmerz kleinerer Kinder beim Verlust eines Elternteils:
»Der gute Knabe, der seinen Vater in dieser Lebensepoche verliert, wird unsägliche Trauer trauern, wird für sein Gefühl keinen Rahmen haben: die Natur wird um ihn her in seinem Schmerz unter zu gehen scheinen; die Welt mit allen ihren Freuden wird ihm wie eine Leichengruppe sein. Ich berufe mich hier auf meine eigene Empfindung, auf Erfahrung. Mein Vater starb, als ich ungefähr dreizehn Jahre zählte. Ich hatte mir vorher den Fall als mit meinem Wesen zugleich möglich nicht zu denken vermocht, dass eines meiner Eltern sterben könnte. Noch bin ich mir dieses Gedankens völlig bewusst; die Vorstellung schlug mich ins Nichts zusammen. Als der Fall geschah, war die ganze Welt um mich her wie eingestürzt: mein Zustand war die ersten Tage unaussprechlich; ich hatte für ihn keine Vergleichung. In den Tod nachsinken zu können würde mir süße Wohltat gewesen sein. Kurze Zeit darauf war ich nicht allein getröstet, sondern sogar erheitert [im Sinne von aufgeheitert]. Ich wunderte mich selbst über die Veränderung meines Zustandes und machte mir Vorwürfe. Nur periodenweise kehrte die magische Melancholie zurück, wenn der Gedanke an den Verstorbenen sich in meine Seele drängte oder ich einsam an seinem Grabe stand.«
    Seume hatte nach dem frühen Verlust des leiblichen Vaters viele andere Väter, geistige, moralische, erzieherische.
    Als Erster zu nennen ist Pfarrer Benjamin Traugott Schmidt, der dem Jungen das Schmiedehandwerk nicht zutraute und vor dem Lehrerberuf warnte, denn »ein Dorfschulmeister ist ein jämmerliches Tier«. Dann Graf von Hohenthal, der dem kleinen Dorfschulmeisterlein in spe seinen Bildungsweg ermöglichte. Seume hat ihm die Nachrichten über die Vorfälle in Polen gewidmet:
»Verehrungswürdiger Wohltäter!
Es war einer der schönsten Tage meines Lebens, als ein rechtschaffener Mann [eben der Pfarrer Schmidt] mich Ihnen einst mit den Worten empfahl: ›Er ist ein Knabe guter Art; der Segen seines Vaters ruhet auf ihm.‹ Seine Empfehlung galt; und noch jetzt tut dem Kriegsmanne die Erinnerung im Herzen so wohl, als sie dem Jüngling oft am Grabe des Vaters tat.«
    An dieses Grab ist Seume als todkranker Mann während seiner Ausflucht nach Weimar ein letztes Mal zurückgekehrt. Als Graf von Hohenthal die Widmung in der Polenschrift las, konnte er nicht ahnen, dass er seinen Schützling überleben und in einer Leipziger Loge einen Nachruf auf ihn hören würde.
    Als Seume sein Leben noch vor sich hatte, wie man jungen Leuten sagt, die es ›zu etwas bringen sollen‹, und von Hohenthal nach Borna auf die Stadtschule geschickt wurde, fand er beim Rektor Unterschlupf und in diesem Rektor den nächsten Wohltäter. Denn Johann Friedrich Korbinsky zog den Frischling vom Land in die eigene Familie:
»Der alte Herr nahm mich freundlich väterlich auf, und ist von allen meinen vielen Lehrern derjenige, dem ich am meisten verdankte. […] Das Haus war patriarchalisch gut, und seine Frau mehr als meine zweite Mutter.«
    Einer der Korbinsky-Söhne, der 1761 geborene Johann Gottlob, war ihm wie ein älterer Bruder und sein wichtigster Jugendfreund. Mit ihm teilte er nach der Übersiedlung nach Leipzig beim Rektor der Nikolaischule die Stube. Während Seume Rektor Martini nachdrücklich nicht unter die Väter rechnete und ihm die Zumutung, mit der Magd essen zu müssen, ein Leben lang nachtrug, widmete er – im Bösen wie im Guten nichts vergessend – dem 1796 gestorbenen Rektor Korbinsky in seinen im gleichen Jahr erschienenen Obolen ein Gedicht. Zehn Jahre zuvor hatte er als Normann aus Emden an dessen Sohn und seinen Milch-, richtiger gesagt Schulbruder geschrieben:
»Ich verehre den Alten als Lehrer; das ist meine Pflicht: ich liebe ihn aber als Vater, denn er hat mein Herz gewonnen.«
    Seume meldete sich als Normann aus Emden auch bei Pfarrer Schmidt mit einem Brief:
»Dies Paquet wird Ihnen vielleicht aus dem Reiche der Toten

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