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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Preisendörfer
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Verhältnis zwischen freien Schriftstellern und anonymer Kundschaft gewichen. In den vierzig Jahren nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges 1763 sind den Messekatalogen zufolge zehnmal so viele Bücher erschienen wie in den vierzig Jahren zuvor.
    Seume wuchs also in einer Epoche auf, in der das Bücherschreiben, Bücherverkaufen und Bücherlesen nie gekannte Ausmaße annahm. Als er sich gegen Ende des Jahrhunderts selbst als Autor in Leipzig zu etablieren begann, hatte die Stadt achtzehn Druckereien mit jeweils mehreren Dutzend Beschäftigten, rund fünfzig Buchhandlungen und ein Heer von Redakteuren und Journalisten. 264 Zeitschriften waren während der zweiten Jahrhunderthälfte gegründet worden und hatten ihre (häufig kurze) Blüte, darunter ein so melancholisches Vorhaben wie die Beiträge zur Beruhigung und Aufklärung über diejenigen Dinge, die dem Menschen unangenehm sind oder sein können und zur nähern Kenntnis der leidenden Menschheit in den 90er-Jahren.
    Bei etlichen der etablierteren Organe arbeitete Seume mit, und nicht nur bei solchen, die in Leipzig erschienen. Er schrieb für das 1786 von Friedrich Justin Bertuch gegründete und bis 1827 unter wechselnden Titeln erscheinende Journal des Luxus und der Moden (von dem übrigens Hans Magnus Enzensberger seiner Transatlantik , 1980 bis 1991, den Untertitel lieh), er schrieb für den Freimüthigen seines Freundes Merkel, für die Zeitung für die elegante Welt , für das Morgenblatt für gebildete Stände . 1805/06 erschien das Journal für deutsche Frauen von deutschen Frauen  – und »besorgt«, so hieß es statt des üblichen »herausgegeben« etwas unbedacht im Untertitel, von Wieland, Schiller, Rochlitz und Seume. Dieses »besorgt« hallte den Zeitschriftenmachern als höhnisches Echo aus Rezensionen entgegen, und es kam schnell heraus, dass es dem Journal ging, wie es schon der im ersten Drittel des Jahrhunderts berühmten und im letzten Drittel berüchtigten moralischen Wochenschrift Vernünftige Tadlerinnen von Gottsched gegangen war: Auch sie hatte sich vornehmlich ans weibliche Publikum gewandt, aber statt von »Frauen für Frauen« stammten die meisten Artikel von Männern, mochten sie noch so fleißig mit »Iris« oder »Phyllis« abgezeichnet sein.
    Die wichtigste Zeitschrift für Seume, und nicht nur für ihn, war zweifellos der Neue Teutsche Merkur , den Böttiger herausgab, jedenfalls de facto, denn genannt wurde immer noch der alte Wieland. Er hatte 1773 den Teutschen Merkur in Weimar gegründet und bis 1789 herausgegeben. Seit 1785 wurde das Blatt bei Göschen in Leipzig verlegt. Der Nachfolger Neuer Teutscher Merkur erschien von 1790 bis 1810. Wieland überlebte die Zeitschrift, wie er auch Seume überlebte. Unter Böttigers Ägide, und gewiss nicht gegen Wielands Willen, erschienen dort etliche der Briefe, die Seume von seinem Marsch nach Syrakus an Böttiger und Göschen geschrieben hatte und die zu wichtigen (Text-)Bausteinen bei der Kompilation des Spaziergangs wurden. Die Vorveröffentlichungen hatten ihren Anteil an dem Nimbus, den Seume sich mit diesem Buch zu verschaffen und erschreiben wusste. Ein Nimbus, der auch die Ladenhüter in neuem Licht – erscheinen ließ. Jedenfalls brachte Gottfried Martini, der Verleger von Seumes Obolen , die liegen gebliebenen Exemplare erneut unter die Leute, versehen mit dem Zusatz vom »Verf. des Spaziergangs nach Syrakus«.
    Obwohl sich Leipzig neben Wien und vor Frankfurt am Main als Haupt- und Handelsstadt der deutschsprachigen Buchproduktion behauptete, war eines der wuchtigsten und ausdauerndsten Periodika der europäischen Publizistik eine Berliner Pflanze. Dem Erfolg ging freilich ein Scheitern voraus. 1756 mussten die anonym publizierten und teilweise von Lessing geschriebenen Briefe, die neuste Literatur betreffend das Erscheinen einstellen. Im gleichen Jahr gründete ihr Verleger Friedrich Nicolai die Allgemeine Deutsche Bibliothek , die im nächsten halben Jahrhundert in 256 Bänden sage und vor allem schreibe 80 000 Bücher rezensierte.
    Aber so gewaltig das Unternehmen war, ein Monopol auf dem Markt, nicht einmal auf dem Berliner, hatte es nicht. 1783 gründeten Johann Erich Biester und Friedrich Gedike die Berlinische Monatsschrift , in der im Folgejahr Kant die Frage beantwortete: Was ist Aufklärung? Die Monatsschrift erschien bis 1796, gefolgt von den allein von Biester herausgegebenen Berlinischen Blättern und ab 1799 durch die wiederum von Nicolai verlegte Neue

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