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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Preisendörfer
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gleiche Aussicht auf alle Vorteile vorhält und diese Vorteile wirklich gewährt.«
    Was Seume trotz seiner antinapoleonischen Haltung hier an der französischen Nation und ihren Bürgern lobt, mag der sozialen Realität nicht gerecht werden, wohl aber den politischen Verhältnissen, so man sie wie Seume aus der Perspektive eines deutschen Soldaten betrachtet:
»Für wen soll der deutsche Grenadier sich auf die Batterie und in die Bajonette stürzen? Er bleibt sicher, was er ist, und trägt seinen Tornister so fort; und erntet kaum ein freundliches Wort von seinem mürrischen Gewalthaber. Er soll dem Tode unverwandt ins Auge sehen, und zu Hause pflügt sein alter schwacher Vater frönend die Felder des gnädigen Junkers, der nichts tut und nichts zahlt und mit Misshandlungen vergilt.«
    Wen der Staat und das Recht nicht anerkennt, dem kann der Staat und das Recht nichts gelten, der muss für den Staat und das Recht nicht kämpfen. Was soll das für ein Vaterland sein, in dem die Väter der Soldaten fronen oder gar als Leibeigene denen gehören, für deren Interessen die Söhne fechten? Um begeistert in die Schlacht zu ziehen wie der preußische Grenadier in den Kriegsliedern von Gleim, müsste man dümmer sein als ein Esel – als der Esel in einer 1796 erschienenen Fabel von Christian August Fischer: »›Geschwind! Zu den Waffen!‹ rufte ein Bauer seinem Esel zu, als die Feinde im Anrücken waren. ›Zu den Waffen?‹ antwortete dieser. ›Ich sehe nicht ein, warum. Mir kann es gleichgültig sein, wem ich gehöre. Ich muss einmal Lasten tragen; gleichviel, wer sie mir auflegt.‹ So sprach er und erwartete die Ankunft der Feinde, ohne sich von der Stelle zu rühren. Aufruf zur Verteidigung des Vaterlandes! – das heißt: des fürstlichen Interesses!« Unter solchen Bedingungen ist jeder Soldat bloß Söldner.

Fünftes Kapitel
Literaturbetrieb

    Markt und Meinung –
Lob und Brot – Ehre und Ruhm

»Ein Journalist in unsern Tagen muss Indifferentist sein oder mit jedem Blatt wenigstens eine Phimose fürchten.«
– Apokryphen –

»Sie werden sehen, ich mag nun so viel oder so wenig wert sein als man will, dass ich wenigstens selbstständig für mich allein gehe, ohne mich rechts oder links durch Lob oder Tadel in ein Klickenwesen ziehen zu lassen.«
– An Carl August Böttiger, Februar 1803 –

»Der Ruhm ist gewöhnlich das Grab der Ehre; und die Ehre selten der Weg zum Ruhm. Aber wer den Ruhm und die Macht in Beschlag nimmt, stempelt die Ehre nach Gutdünken und macht Goldmünze aus Glockenspeise.«
– Apokryphen –

Als Schriftsteller kam Seume historisch zu spät und zu früh: Zu spät, weil die aufklärerischen Ideen, denen er sich verpflichtet fühlte, zwar weitverbreitet, aber schon ziemlich zerschlissen waren. Zu früh, weil ihm seine ungewöhnliche Erlebnisberichterstattung zwar eine literarische Existenzgründung ermöglichte, aber zur Sicherung der materiellen Existenz noch nicht ausreichte – trotz des schnell wachsenden publizistischen Marktes.
    Wie im Leben gehörte er auch im Schreiben nirgendwo recht dazu. Er hatte Freunde und Förderer und war doch schlecht vernetzt. Er arbeitete mitten im Literaturbetrieb und hielt sich stets am Rand. Es gelang ihm, sich einen Nimbus zu schaffen, aber viel Vergnügen hatte er an ihm nicht. Geldgier war ihm fremd, aber neben der Gier fehlte es ihm auch an Geld zum Leben. Die Ruhmgier wies er weit von sich, kam ihr mit seiner Ehrsucht aber näher, als er zuzugeben bereit gewesen wäre. Und er konnte vom Dichten, Denken und Publizieren nicht lassen, obwohl er das eine als »Erbsünde« bespöttelte, das andere wegen der damit verbundenen Kopfschmerzen verfluchte und das dritte oft für sinnlos hielt. Als Bauernkind und Gastwirtssohn, der unter die Literaten gefallen war, schwankte er zwischen ergebener Bewunderung – wenn er sich von den Berühmtheiten anerkannt fühlte – und polterndem Aufbegehren, wenn er sich missachtet glaubte. Er vermochte sich selbst beim Schreiben über das Leben zu trösten und fühlte sich zugleich vom Schreiben am Leben gehindert. Alles in allem war das »literarisch-militärische Amphibion« im Literaturbetrieb so glücklos wie im Militärwesen.
    Markt und Meinung
    Was ist ein Buch? Die Antwort hängt davon ab, wen man fragt. »Ein Buch ist eine Schrift […], welche eine Rede vorstellt, die jemand durch sichtbare Sprachzeichen an das Publikum hält.« Was ist Aufklärung? Wieder hängt die Antwort davon ab, wen man

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