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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Preisendörfer
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Berlinische Monatsschrift , die bis 1811 Bestand hatte.
    Gemessen an diesen historischen Gebirgen von Zeitschriften wirken die Unternehmungen von Goethe und Schiller wie Eintagsblätter. Schillers Thalia erschien von 1785 bis 1791, die Neue Thalia , in der Seume sein Abschiedsschreiben an Münchhausen und zwei weitere Gedichte veröffentlichen konnte, von 1792 bis 1793, Goethes Propyläen kamen von 1798 bis 1800 heraus und Schillers Horen von 1795 bis 1797.
    Als Schiller die Horen 1794 ankündigte, reklamierte er für das Projekt, über die Meinungskämpfe des Tages erhaben und nur dem Allgemeinmenschlichen verpflichtet zu sein: Je »mehr das beschränkte Interesse der Gegenwart die Gemüter in Spannung setzt, einengt und unterjocht, desto dringender wird das Bedürfnis, durch ein allgemeines und höheres Interesse an dem, was rein menschlich [Hervorhebung Schiller] und über allen Einfluss der Zeiten erhaben ist, sie wieder in Freiheit zu setzen«.
    Doch vermag auch ein Schiller nicht, aus seiner Zeit herauszuspringen. Die Idee, keiner Ideologie folgen zu wollen, war selber ideologisch. Das höhere Interesse, das da von oben herab in Anspruch genommen wurde, erwies sich als bloß partielles, orientiert an der engen und oft genug dogmatisch vorgetragenen Auffassung der Literatur als autonome Kunst. Entnervt von der politischen Versteinerung in den deutschen Ländern strebte der Dichter nach einer neuen Klassizität im nicht nur machtlosen, sondern angeblich auch machtfreien Reich der Bildung und des Geistes. Entsetzt über die revolutionäre Entwicklung in Frankreich, wo er »rohe Kräfte sinnlos walten« sah, läutete er die Alarmglocke: »Wenn sich die Völker selbst befrein,/Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.«
    Zwischen dem Stillstand der Reformen und dem revolutionären Aufruhr schien nur die »ästhetische Erziehung des Menschen«, wie Schiller 1795 schrieb, und das »in sich selbst Vollendete« der Kunst, wie Karl Philipp Moritz schon 1785 geschrieben hatte, eine Zuflucht zu bieten vor der Öde in Deutschland und der Unordnung in Frankreich.
    Der Konflikt zwischen Autonomen und Aufklärern teilte das diskursive Feld und den publizistischen Markt, auch wenn es Autoren gab, die zwischen den Linien operierten wie Moritz oder sich wie Seume am Rand herumtrieben. Die Autonomen wurden repräsentiert von Goethe und Schiller, bis zu seinem Tod 1793 unterstützt von Karl Philipp Moritz, der ihr Programm im Berliner Feindesland, wo er Freunde hatte, unter die Leute brachte. Die Aufklärer waren die alte Garde aus König Friedrichs Zeiten, deren Haupt Moses Mendelssohn und deren Hauptgeschäftsführer Friedrich Nicolai gewesen ist, gefolgt von so rührigen Leuten wie Gedicke, Biester und Jenisch.
    In Reaktion auf Schillers Horen gründete Daniel Jenisch 1795 das Berlinische Archiv der Zeit und ihres Geschmacks , und in seinem Aufsatz Über Prosa und Beredsamkeit der Deutschen reformulierte er das Denk- und Stilideal der Aufklärung: »Ernst, klar, aufrichtig wie die Wahrheit an sich ist, muss sie auch in der Rede ohne Täuschung und ohne verschönernde Hülle dargestellt werden: Sache des Verstandes, nicht der Einbildungskraft, braucht sie der Belehrungen des erstern, nicht der Unterhaltung der andern: Gegenstand deutlicher Erkenntnis, nicht alles-verwirrender Leidenschaft, muss sie durch helle Begriffe, nicht durch Rührung hervorgebracht werden.«
    Seume hätte dem zustimmen können, und seine oft wiederholten Wahrheitsversicherungen würden dieser Linie entsprechen, wären sie nicht etwas zu oft wiederholt worden, um überzeugend zu sein. Seume in seiner am Rand des literarischen Feldes wildernden und in seinen Texten mitunter auch verwilderten Art, suchte gerade durch sein Wahrheitspathos zu rühren und durch seine kunstvolle Kunstlosigkeit mitzureißen.
    Auf Jenischs Verteidigung der täuschungslosen Nüchternheit der Aufklärung (die freilich eine Selbsttäuschung war), reagierte Goethe denunziatorisch mit dem in den Horen veröffentlichten Aufsatz Literarischer Sansculottismus . »Sansculottismus« klang in den Ohren der Berliner Polizei wie »Jakobinismus«. Goethe legte das in meisterhafter Perfidie nahe und konnte doch sagen, dass er es so nicht geschrieben habe.
    Was auf diese Weise ausgefochten wurde, war mehr als der Kampf um Marktanteile und ging über das gewöhnliche Literatengezänk hinaus. Doch lassen sich die Titanenkämpfe der Epoche nicht trennen von literarischem Futterneid, persönlichen

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