Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)
fragt. »Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.« Die zweite Antwort stammt von Kant. Die erste auch. Sie steht in der 1797 erschienenen Metaphysik der Sitten . Das dort erwähnte Publikum ist zugleich Subjekt und Objekt der Aufklärung. Kant schreibt in seinem 1784 in der Berlinischen Monatsschrift erschienenen Aufsatz Beantworung der Frage: Was ist Aufklärung? : »Es ist […] für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. […] Dass aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit lässt, beinahe unausbleiblich.«
Aufklärung ist keine Privatsache, sondern eine öffentliche Angelegenheit. Sie setzt Kommunikation voraus, die offene Diskussion unter Anwesenden, aber auch den freien Austausch über weite Distanzen. Das eine fand statt an den staatlich eingerichteten Akademien, in den privat geführten Salons und bei regelmäßigen, ebenfalls privat organisierten Gelehrtentreffen, das andere war vermittelt über den in der zweiten Jahrhunderthälfte explodierenden Markt der Bücher, Zeitungen und Zeitschriften. Die Akademien hingen vom Willen der Fürsten ab, die Salons von der Energie der Damen, die sie führten, die Gelehrtentreffen im Stil der Berliner Mittwochsgesellschaft von der Energie der Herren, die sie besuchten. Der Markt wiederum wurde in Bewegung gehalten von der Ruhmsucht der Autoren und dem Gewinnstreben der Verleger. Mochten die bedeutenden unter ihnen auch moralischen, politischen und ästhetischen Idealen verpflichtet sein, so konnten sie diesen Idealen doch nur dienen, indem sie an ihnen verdienten. Ähnliches galt für die Autoren, obwohl es länger dauerte als bei den Verlegern, bis sie nicht nur für ihre Ideen, sondern auch von ihnen leben konnten. Lange waren sie auf Ämter angewiesen, vor allem, wenn sie anders als Seume eine Familie zu ernähren hatten, auf Universitäts-, Kirchen-, Justiz- und Verwaltungsämter. Oder auf »dunkle Ämter«, wie Goethe süffisant über den Halberstädter Gleim bemerkte, dessen Amt so einträglich wie indifferent war, mithin eigentlich eine Pfründe ohne größere Verpflichtungen.
Autoren wie Verlegern gleichermaßen zu schaffen machten zwei geschäftsschädigende Einrichtungen, deren eine, die fürstliche Zensur, fest in der Vergangenheit verwurzelt war, und deren andere, der grassierende Büchernachdruck, aus raubkapitalistischer Gier erwuchs. Die Zensur war dabei das kleinere Übel, denn so großen Schaden sie in Einzelfällen auch anrichtete, konnte sie doch im zersplitterten, von den unterschiedlichsten Herren regierten Deutschland leicht umgangen werden. Und im Notfall gab es immer noch den alten »Peter Hammer«. Die Piraterie war aus den gleichen Gründen schwerer zu bekämpfen. Im Unterschied zur Zensur war sie keine marktfremde Beschränkung, sondern selbst ein Marktphänomen. Gerade die Schriftsteller, die durch ein Amt eher schlecht als recht versorgt und auf ihren Anteil am Geschäft mit ihren Gedanken angewiesen waren, setzten sich in immer schärfer werdendem Ton mit dem Problem auseinander. Gottfried August Bürger, dem es trotz des Erfolgs seiner Münchhausengeschichten nie gelang, sich am eigenen Schopf finanziell aus dem Sumpf zu ziehen, publizierte beispielsweise den Vorschlag einer Assekuranzkasse, mit der die Einnahmeausfälle durch Raubdrucke versichert werden sollten.
Der ebenfalls erfolgreiche und ebenfalls um einen Teil dieses Erfolgs geprellte Freiherr von Knigge warnte in der Vorrede zu Über den Umgang mit Menschen die Nachdrucker in Leipzig, eine »korsarische Unternehmung« zu wagen. Im Kapitel »Über den Umgang mit Leuten von allerlei Ständen im bürgerlichen Leben« erklärt er, die »Herren Buchhändler verdienten wohl ein eignes Kapitel«, belässt es aber dann bei wenigen Absätzen über die Verleger, denn die waren damals mit der Bezeichnung »Buchhändler« vor allem gemeint. Dem verdienstvollen Verleger »wie unserm Nicolai«, dem »Wahrheit, Kultur und Aufklärung am Herzen« liegen, stellt er einen Typus gegenüber, »der die erbärmlichste Schmiererei, deren Nichtswürdigkeit er selbst fühlt, durch einen vielversprechenden Modetitel oder durch saubre Bildlein aufgesetzt nach Frankfurt und Leipzig schleppt und für diese Lumpereien ein schändendes Lob von feilen Rezensenten erkauft« und der gleichzeitig »den Mann von Talenten wie einen Taglöhner
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