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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Preisendörfer
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in die Arme.
»Den Degen an der Seite, einige Hemden auf dem Leibe und im Reisesacke und einige Klassiker in der Tasche, marschierte ich zwar ganz rüstig und leicht, aber nichts weniger als ruhig durch die Dörfer nach Dürrenberg, setzte dort über die Saale, ging über das Schlachtfeld bei Roßbach [wo Friedrich II. im Siebenjährigen Krieg gegen feindliche Übermacht gewonnen hatte] und blieb die erste Nacht in einem kleinen Dorfe bei Freyburg […] Die zweite Nacht blieb ich in einem Dorfe vor Erfurt, wo man mich mit vieler Teilnahme sehr gut sehr wohlfeil bewirtete, und mich schonend merken ließ, ich hätte wohl jemand mit dem Instrumente da, man wies auf den Degen, etwas übel behandelt und müsse das Weite suchen. […] Den dritten Abend übernachtete ich in Vach, und hier übernahm trotz allem Protest der Landgraf von Kassel, der damalige große Menschenmäkler, durch seine Werber die Besorgung meiner ferneren Nachtquartiere nach Ziegenhayn, Kassel, und weiter nach der neuen Welt.«
    Was war mit Seume geschehen, dass er seine doch immerhin leidlichen Verhältnisse hinter sich ließ? Von Graf Hohenthal erhielt er fünf Taler im Monat, was nicht viel, für Seume jedoch genug war, auch wenn er sich Bücher buchstäblich vom Munde absparen musste und am ›höheren gesellschaftlichen Leben‹ nicht teilnehmen konnte. Dazu hätte es schon einer väterlichen Apanage bedurft, wie Goethe sie nach der Aufnahme seines Leipziger Studiums fünfzehn Jahre zuvor erhielt: tausend Taler jährlich.
    Leipzig hatte zu jener Zeit etwa 30 000 Einwohner (Weimar rund 6000). Es war Messe- und Handelszentrum, Verlags- und Universitätsstadt, hatte aber zum Glück nicht die Residenz. Die Bürde der tagtäglichen Gegenwart des Landesherrn musste Dresden tragen. Das ließ den Leipziger Handelsbürgern mehr Freiraum für die geistigen und mehr Spielraum für die repräsentativen Bedürfnisse. Goethe schreibt in Dichtung und Wahrheit: Der »Studierende von einigem Vermögen und Ansehen hatte alle Ursache, sich gegen den Handelsstand ergeben zu erweisen und sich um so mehr schicklicher äußerer Formen zu befleißigen, als die Kolonie ein Musterbild französischer Sitten darstellte. Die Professoren, wohlhabend durch eigenes Vermögen und gute Pfründen, waren von ihren Schülern nicht abhängig, und der Landeskinder mehrere, auf den Fürstenschulen oder sonstigen Gymnasien gebildet und Beförderung hoffend, wagten es nicht, sich von der herkömmlichen Sitte loszusagen. […] Mir war diese Lebensart im Anfange nicht zuwider; meine Empfehlungsbriefe hatten mich in gute Häuser eingeführt, deren verwandte Zirkel mich gleichfalls wohl aufnahmen.«
    Seume befand sich in einer ganz anderen Situation. Aber langweilig ist auch ihm nicht gewesen. Während die barocke sächsische Residenzstadt Dresden als »Elbflorenz« gelobt wurde, genoss das quirlige Leipzig den Ruf eines »Klein Paris«. Hätte das große Paris da nicht noch eine Weile warten können?
»Ich nahm mein Monatsgeld, verkaufte einige Bücher, die etwas Wert hatten, und nach Abzahlung meiner Schulden […] blieben mir ungefähr neun Taler. Mit diesen dachte ich schon nach Paris zu kommen und mich umzusehen, was da für mich zu tun sei.«
    Von Paris wollte er weiter nach Metz. Dort gab es eine Artillerieschule, die bürgerliche Bewerber aufnahm und für eine Offizierslaufbahn vorbereitete – in den deutschen Staaten, auch im friderizianischen Preußen, war das nur sehr ausnahmsweise möglich. Nach Metz ist Seume nie gekommen, und mehr als ein kleiner Leutnant ist er auch nicht geworden. Immerhin hat er später auf dem Rückweg von Syrakus Station in Paris gemacht.
    Was trieb Seume aus Leipzig? Die Liebe, wie einige seiner Bekannten vermuteten? Das hat er brüsk dementiert, denn »die Anmutung zum Geschlecht ist bei mir sehr späte gekommen«. Er selber schreibt den Aufbruch einem religiösen Gewissenskonflikt zu. Die Bibel las und liebte er, aber die Orthodoxie stellte er mehr und mehr infrage. Seume ist ein eklatantes Beispiel für den Realitätsgehalt der uralten konservativen Befürchtung: Kaum lässt man die Leute etwas lernen, laufen sie schon aus der Kirche. Und dass dieses geistige Aus-der-Kirche-Laufen sehr weltliche Folgen haben konnte, machte Seume zu schaffen:
»Es war natürlich, dass der Graf endlich alles erfahren musste […] Ohne seine Unterstützung konnte ich nicht in den Wissenschaften fortleben. Ich wollte der Katastrophe zuvor kommen, zog mich in mich selbst

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