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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Preisendörfer
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Man kann sich keinen traulichern Lärm denken.«
    Eine ökonomische Schönheitslehre war nichts Ungewöhnliches für Aufklärer. Die Ästhetik der Nützlichkeit durchzog selbst das akademische Schrifttum der Kameralisten, wie in einem der Verwaltungslehrbücher von Joachim Georg Darjes aus den 1760er-Jahren hübsch nachzulesen ist: »Die Schönheit der Felder besteht in dem, dass sie regelmäßig angebaut und fruchtbar.« – »Die Schönheit der Wiesen besteht in dem, wenn sie fruchtbar, gesundes, hohes und vieles Gras tragen.« – »Die Schönheit der Waldungen besteht in gesunden Bäumen.« – »Die Wasser sind schön, wenn sie reichlich mit Fischen besetzt« sind. – »Die Schönheit der Straßen wird aus dem beurteilt, wenn sie eben, fest, allemal reinlich, breit und …« – vor allem nicht gespurt sind, würde Seume wohl dazwischenrufen.
    Die aufklärerische Fetischisierung der Nützlichkeit wurde nicht erst von den Romantikern lächerlich gemacht. Auch die Kunstautonomen um Goethe und Schiller brachten gegen das ergreifende Denken, dem Begriffe bloß der Inbesitznahme von Wirklichkeit dienen, interesseloses Wohlgefallen und reine Anschauung des Schönen ins Spiel. »Die herrschende Idee des Nützlichen«, mahnte Karl Philipp Moritz in seinen Denkwürdigkeiten, aufgezeichnet zur Beförderung des Edlen und Schönen , »hat nach und nach das Edle und Schöne verdrängt – man betrachtet selbst die große erhabne Natur nur noch mit kameralistischen Augen, und findet ihren Anblick nur interessant, insofern man den Ertrag ihrer Produkte überrechnet.«
    Für Seume trifft das jedoch nicht zu. Der Mensch kommt bei ihm immer als Erstes, doch hält er nicht für gut, wenn der Mensch auch jedes Mal das letzte Wort hat. Als im schönen Rosenthal bei Leipzig die Stadtverwaltung alte Eichen im Dutzend fällen ließ, um einen Entwässerungsgraben anzulegen, schickte er seinem Freund Merkel vom Freimüthigen ein Gedicht, in dem er eine Dryade, eine Eichennymphe aus der griechischen Mythologie klagen lässt:
»Herzlose Männer zerstören den Hain mit wütender Mordaxt«.
    Dem Magistrat von Leipzig gefiel diese Nestbeschmutzung nicht, und Seume sah sich veranlasst, die Wogen zu glätten und den Baummädchen die Tränen abzuwischen. In der Zeitung für die elegante Welt vom 3. Juli 1804 milderte er den Ton, beharrte aber in der Sache,
»forstmäßig und streng ökonomisch durfte doch nach der Humanität ein Plätzchen nicht behandelt werden, das, so zu sagen, das Eigentum von ganz Europa ist«.
    Das Schönste an diesem Einspruch ist das Wort »Humanität«. Es zeugt von ihr, das sie auf schöne Natur angewandt wird, die doch allen und keinem gehören sollte. Der Sinn für das Schöne und Erhabene jedenfalls muss nicht wie bei Schiller und Goethe den Hintersinn haben, vom Hässlichen und Gewöhnlichen die Augen abzuwenden. Seume sah sich alles an, Marmorgöttinen in Villengärten und dreschende Bauern. So konnte er erzählen, wie fröhlich an der Drau gedroschen wurde und wie elend in Böhmen:
»Man drosch in den Herrenhöfen auf vielen Tennen und die Bauernhäuser waren leer und verfallen; die Einwohner schlichen so niedergedrückt herum, als ob sie noch an dem härtesten Joche der Sklaverei zögen. Mich deucht, sie sind durch Josephs wohltätige Absichten wenig gebessert worden, und höchst wahrscheinlich sind sie hier noch schwerer durch die Fronen gedrückt als irgendwo.«
    Die formelle Aufhebung der Leibeigenschaft durch Joseph II. im Jahr 1781 hat trotz der rechtlichen Besserstellung der Bauern ihre tatsächliche Lage nur wenig verbessert. Überhaupt gingen die josephinischen Reformen den Privilegierten zu weit und den Unterdrückten nicht weit genug, wie es oft geschieht, wenn ein System erneuert werden soll, das so veraltet ist, dass es abgeschafft gehört. Dazu fehlte es aber den böhmischen Bauern an sozialer Kraft und politischer Organisation. Sie hofften auf den Import der Revolution und schliffen die Sensen ihrer Rache:
»Alles war in Furcht als sich die Franzosen nahten: nur die Bauern jubelten laut und sagten, sie würden sie mit Freuden erwarten und sodann schon ihre Unterdrücker bezahlen.«
    In Kursachsen indessen war es 1790 zu Aufständen gekommen, die über die gewohnten Widersetzlichkeiten und die seit jeher aufflackernden isolierten Revolten hinausgingen. Manche Historiker sprechen von etwa zehntausend Aufständischen. Jedenfalls musste der Kurfürst Truppen einsetzen, um die Rebellion

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