Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)
Böttiger:
»Das französische Benehmen ist oft eben so traurig, als das ihrer Feinde; aber ihr System hat doch Humanität; sehr schlimm, wenn es inhuman befolgt wird.«
Allerdings Ende 1799 an Münchhausen:
»Sulla [römischer Diktator, seiner Grausamkeit wegen berüchtigt] war ein Tertianerjunge gegen Robespierre«.
Im Spaziergang verkündete eine in die Erzählung geschaltete »Rhapsodie« dann das glatte Gegenteil:
»Und gegen Sullas Henkergeist
Ist zu der neuen Zeiten Ehre,
Der Aftergallier, der Blutmensch Robespierre,
Ein Genius, der mild und menschlich heißt.«
Bei dieser Einschätzung blieb Seume und bekräftigte sie in den Apokryphen :
»Man lärmt so viel über die Französische Revolution und ihre Greuel. Sulla hat bei seinem Einzuge in Rom in einem Tage mehr gewütet, als in der ganzen Revolution geschehen ist.«
Und während er im Spaziergang davon schrieb, wie auf die »Morgenröte« an der Seine »Ungewitter, dann dicke Wolken und endlich Nebeltage« folgten, lockte er in den Apokryphen mit der Vernunft und drohte mit Napoleon:
»Die Französische Revolution wird in der Weltgeschichte das Verdienst haben, zuerst Grundsätze der Vernunft in das öffentliche Staatsrecht getragen zu haben. Lässt man diese Grundsätze wieder sterben, so verdient jeder Weltteil seinen sublimierten Bonaparte.«
Verzweifeln an Napoleon
Am 12. Oktober 1809 drängte sich während einer Parade der französischen Truppen im besetzten Wien der siebzehnjährige Friedrich Staps zu Napoleon vor, um ihn mit einem zweiseitig geschliffenen Dolch zu erstechen. Der Attentäter fiel auf, bevor er nah genug herankam, wurde festgenommen und vor Napoleon geführt. Ein Zeitzeuge, der elsässische General Rapp, hat das Gespräch zwischen Staps und Bonaparte gedolmetscht und es in seinen 1823 erschienenen Memoiren überliefert. Staps habe im Verlauf des Verhörs zu Napoleon gesagt, »ich war einer Ihrer größten Bewunderer«.
Seume konnte von dem streng geheim gehaltenen Attentat nichts wissen. Aber was Staps mit dem Dolch tun wollte, versuchte Seume mit der Feder. Auch für ihn war Napoleon ein gestürztes Idol:
»Ich schätze den wirklich großen Mann so hoch als irgend einer; aber ich kann ihn unmöglich lieben; denn ich halte ihn weder für rein liberal noch gerecht. Er hat mir in sich selbst das schönste Ideal meines Lebens zerstört: und ich bin so stolz zu glauben, meine Ideale sind nicht das Produkt eines spielenden müßigen Gehirns. Das Schicksal hat ihm zwei Namen gegeben, einen schönen und einen furchtbaren. Den schönen trug er in seiner schönen Zeit, jetzt hat er ihn weggelegt und nur den furchtbaren behalten.«
Diese höchst ambivalente Stelle findet sich in Mein Sommer 1805 , jener Reise, die während der Kontinentalsperre Napoleons stattgefunden hatte, und deren Bericht zwischen Napoleons Sieg in Austerlitz (2. Dezember 1805) und dessen Sieg bei Jena und Auerstedt (14. Oktober 1806) erschienen war. Schon im Dezember 1799, wenige Wochen nach Napoleons Staatsstreich vom »18. Brumaire«, hatte er an Gleim geschrieben:
Napoleon »ist ein großer Mann: wir wollen nur sehen, ob er ein guter und weiser Mann ist«.
Güte und Weisheit sind nicht gerade die Maßstäbe der Macht, und auch nicht die politischer Größe. Seume wusste das, auch wenn er nie aufhörte, es zu beklagen. Wenigstens suchte er die Ehre der Humanität vor dem Ruhm des Historischen moralisch in Sicherheit zu bringen:
»Wenn Bonaparte die Stimme der Vernunft und Freiheit und Gerechtigkeit gehört hätte, er wäre die Sonne der Humanität. Er hat in sich selbst das schönste, reinste, höchste Ideal verdorben, das das Schicksal zum Heil der Menschheit aufstellen zu wollen schien.«
Als junger Mann hatte Napoleon sich in Plutarchs Doppelbiographien großer Griechen und Römer vertieft, vor allem in die über Alexander und Caesar. Seume schrieb als auch noch nicht alter in der Plutarch-Vorrede über Napoleon:
»Von seiner Macht allein wird alles gewaltsam regiert.«
In der Vorrede zur Übersetzung des Buchs von Percival heißt es:
»Bonaparte ist, wenn man will, durch die [französische] Nation gerechtfertigt; das beweist zwar in der Sache nichts; aber es ist genug für ihn und die Nation. Er opfert seinem Schöpfer und Erhalter, dem Bajonett; das und der Glaube macht ihn selig; eine sehr alte Methode, die sich noch lange bewähren wird. Ich bin immer noch der Überzeugung, er habe das göttlichste Geschenk des hehren Schicksals, bis jetzt der Einzige
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