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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Preisendörfer
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Freisetzung war, brachte die rechtliche Freiheit vielen Bauern bloß die soziale Verelendung. 1917 machte dann die Revolution dem zaristischen Staat ein Ende.
    Seume lehnte Sklaverei, Leibeigenschaft, Fronarbeit und alle Formen personengebundener Abhängigkeit kategorisch ab, also nicht bloß um der Steigerung der Effizienz willen oder aus staatspolitischer Weitsicht. Der Begriff der Sklaverei ist mit dem der Humanität nicht in Einklang zu bringen, unter keinen Umständen und in keiner Epoche von der Antike bis zur Gegenwart. In dieser Menschheitssache erweist sich Seumes mitunter enervierende Prinzipienreiterei als nicht genug zu rühmende Prinzipientreue: durch keine Bildungskonvention abgeschwächt, von keiner Bewunderung für Kulturleistungen getrübt. In den Apokryphen tadelt er Plato, der »alle Arbeiten in der Republik von Sklaven besorgen« lassen will:
»Wo ein einziger Sklave ist, suche ich keine Vernunft mehr. Zu der Arbeit müssen nun entsetzlich viel Hände gehören, die alle keine Köpfe haben dürfen.«
    In der politischen Vorrede zu seinem philologischen Plutarch-Buch heißt es:
»Wenn Jemand dem Gesetze nach Sklave durch seine Geburt ist oder später wird, dann hat die antike Gerechtigkeit ein Ende. Die außerordentlichen Vorzüge Einzelner haben das Altertum zu einer solchen Herrlichkeit gebracht; aber ein ursprüngliches Menschenrecht war ihnen kaum bekannt. Selbst jener göttliche Plato wollte seinen Staat auf das Allerschlechteste einrichten, da er die Sklaven, die mehr als drei Viertel des Volkes ausmachten, zur Arbeit zwang […] Wenn irgendein furchtloser Spartacus diese aus der Werkstatt führt, so tut er es mit vollem Recht.«
    In der ebenfalls politischen Vorrede zu seiner Übersetzung des Buches von Percival, die im Unterschied zur Plutarch-Vorrede gedruckt wurde, wird historisch übergreifend eine Art Spartacus-Prinzip formuliert:
»Wer zu mir sagt, du bist mein Sklave, das heißt, ich gebrauche dich unbedingt als Werkzeug zu meinen Zwecken, der gibt mir für den schicklichsten Moment rechtlich den Dolch in die Hand.«
    Die antiken Sklavenhalterstaaten sind untergegangen, aber die Sklaverei überdauerte Staaten und Epochen. Das Christentum, am Ende des 19.Jahrhunderts von einem Basler Professor als Sklavenreligion geschmäht, wurde am Anfang dieses Jahrhunderts von Seume als eine Religion der Sklavenhalter angegriffen. In der Percival-Vorrede heißt es über die Unterjochung und Ausbeutung der Einheimischen durch die Kolonialmächte Frankreich und England:
»Es ist eben keine Ehre für das Christentum, dass seine Anhänger diesen Schandfleck der menschlichen Vernunft, die Sklaverei, auf alle Weise tiefer einzubrennen und zu verewigen suchen.«
    Kurz vor dieser Stelle prangert er diejenigen an, die im Namen der Religion und als Funktionäre des Altars an diesem »Schandfleck« mit verantwortlich sind, seien es christliche Theologen, christliche Pädagogen, christliche Prediger:
»Das System der Nationen ist Sklaverei, feiner oder gröber; und alle Spitzköpfe arbeiten mit ihren Werkzeugen den Plattköpfen dahin, den alten Fuß so schlafsüchtig weiter fort zu führen.«
    Spitzköpfe und Plattköpfe
    Erziehung zur Demut nennt Seume in den Apokryphen das Programm, mit dem sich die »spitzköpfige« Geistlichkeit an die Seite des Adels stellt, um dessen Privilegien zu wahren und die Plattköpfe auf dem Land in der Sklaverei zu halten.
»Demut: Mut zu dienen. […] Demut ist der erste Schritt zur Niederträchtigkeit.«
    Wie diese »Niederträchtigkeit« aussieht, hat Chodowiecki mit seinem »Lesenden Bauern« gezeigt und Knigge in seiner Passage über das unverschämte Landvolk beschrieben. Erst werden die Menschen unters Joch gezwungen und dann als knechtisch verachtet, unterdrückt und dann von oben herab behandelt, verdummt und ihrer Dummheit wegen verhöhnt, versklavt und als Sklaven geschmäht. Gegen diese Herablassung derer, die obenauf sind, erklärt Seume in Mein Sommer :
»Ein Sklave muss freilich schlecht sein; ich begreife gar nicht, wie er gut sein könnte.«
    Den Beherrschten wird als Fehler angelastet, was ihnen die Herrschenden vorenthalten. Sie können sich nicht artikulieren und organisieren – bloß um sich schlagen, wenn es zu viel wird und nicht mehr auszuhalten ist. Nur wenige Einzelne, denen wie Seume die Gnade zufiel, entdeckt, gefördert, beschult und über den Stand ihrer Geburt hinausgehoben zu werden, konnten den Zusammenhang zwischen Demut und Niederträchtigkeit

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