Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)
macht allerdings seine Welt und seinen Gott und einigermaßen sich selbst.«
Die Vorstellung, der Mensch schaffe Gott nach seinem Ebenbilde, war altes Aufklärungsrepertoire. Karl Philipp Moritz hatte in seiner beliebten Götterlehre von 1791 auf diese Weise das olympische Personal auf den irdischen Boden der Tatsachen geholt. Was an Jupiter erlaubt war, war bei Christus zwar nicht ohne Weiteres gestattet, aber seit der Entwicklung einer philologischen Bibelkritik hatte die historische Lektüre der »Heiligen Schrift« in den Bibliotheken ihr Recht, wenn auch nicht auf den Kanzeln.
Seume hat seine konfessionell ungebundene und mehr auf die Moral als auf Offenbarung abzielende Haltung zur Religion 1799 in einem Brief an Münchhausen zusammengefasst:
»Sie haben Recht, ich ehre die Religion als etwas sehr göttliches, wenn ich gleich nie zu der Fahne irgend eines positiven Religionslehrers schwören möchte. Sie ist mir der Beschluss von allem, was gerecht, human, freundlich und tröstend für die Zukunft ist. Aber dazu gehört nichts als das Göttliche in uns, unsere eigene Natur« – ebendas, was Kant das »moralische Gesetz in uns« genannt hat – »wer dazu Furcht vor Strafe und Hoffnung auf Belohnung braucht, ist ein Mietling. Alles Gute belohnt und alles Böse bestraft sich notwendig selbst.«
Dies war der letzte Rest an Optimismus, den der Spätaufklärer ins neue Jahrhundert zu retten vermochte.
Fleiß der Leute, Schönheit der Lande
»Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,/Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn,/Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,/Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht –/Kennst du es wohl?«
Seume hat es kennengelernt auf dem Fußweg nach Syrakus. Und wenn er auch nicht so idyllisch gestimmt war wie Goethe, der im Wilhelm Meister der zauberhaften Mignon das Liedlein in den Mund legte, so verstand er auf seine prosaische Weise ebenfalls zu singen:
»Du pflanzest einen Baum, und er wächst in kurzer Zeit schwelgerisch breit und hoch empor; du hängst einen Weinstock daran und er wird stark wie ein Stamm, und seine Reben laufen weitausgreifend durch die Krone der Ulme; der Ölbaum steht mit bescheidener Schönheit an dem Abhange der schützenden Berge; die Feige schwillt üppig unter dem großen Blatte am gesegneten Aste; gegenüber glüht im sonnigen Tale die Orange, und unter dem Obstwalde wallt der Weizen, nickt die Bohne, in reicher lieblicher Mischung.«
Dies schrieb Seume im Spaziergang über »das schöne, reiche, selige Kampanien«, jenen Landstrich »zwischen dem Vesuv, dem Gaurus und den hohen Apenninen«. Der Spaziergänger hatte nicht nur einen militärischen Blick, mit dem er die Zahl der Kanonen schätzte, die nötig wären, um eine Stadt oder einen Hafen zu verteidigen, er konnte Land und Leute auch besichtigen, als wäre er auf Inspektionsreise. Manchmal zählte er die gemauerten Kamine und ziegelgedeckten Dächer eines Dorfes, um daraus Rückschlüsse auf das Leben ihrer Bewohner zu ziehen. Er wusste aus eigener Erfahrung, das heißt: vor allem aus der Erfahrung seines Vaters, wie eng Freiheit und Fleiß zusammenhängen und warum Fron und Rechtsunsicherheit die Leute entweder zur Verzweiflung oder in die Faulheit treibt:
»Welcher Bauer wird sich ein gutes bequemes Haus bauen, wenn er nicht ganz sicher ist, dass er und seine Kinder darin wohnen werden, und dass sie keine Gewalt, kein Gutdünken, keine Schikane irgend eines großen oder kleinen Tyrannen daraus vertreiben kann? Wie wird er einen Baum pflanzen, unter dessen Schatten er nicht seine Enkel zu schaukeln, oder dessen Früchte er und seine Söhne nicht sicher zu pflücken hoffen dürfen?«
Das Recht auf Besitz, auch auf kleinen, ist Bedingung für ein Arbeiten mit Interesse. Sonst herrschen Unterjochung und Armut:
Wenn »bei allem Segen des Bodens und bei allem Fleiße der Arbeitenden der Landmann dennoch in Lumpen geht, in Rauchlöchern wohnt, den Kummer und das Elend im Gesichte trägt, so ist das ein vollgültiger Beweis, dass er durchaus nicht für sich selbst arbeitet. Die Ernten stehen fett und hoch wie Rohr; aber sie sind des Edelmanns.«
Freies Arbeiten ist nicht nur effizient, es verschönt das Leben. Im Spaziergang zeigt sich Seume entzückt, als er auf dem Weg von Graz nach Laybach (Ljubljana) im Tal der Drau das Dreschen auf wohlgezimmerten Tennen hört:
»Eine herrliche, ökonomische Musik war es für mich, dass die Leute hier überall links und rechts auf Bohlentennen dreschen.
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