Der wahnsinnige Xandor
Stimme wie die von Nottr, aber er war nicht sicher, ob er nicht einer Täuschung erlegen war. Auf die Frage, was denn Fahrna davon halte, zuckte die Runenkundige nur die Schultern. Sadagar hatte etwas Reisig zusammengetragen und sich darauf gelegt. Seine regelmäßigen Atemzüge verrieten, dass er eingeschlafen war.
Fahrna saß wieder am Stamm des Baumes, legte ihre leuchtenden Runenzeichen aus und verglich Schriftrollen miteinander. Als Mythor sich zu ihr gesellte, sagte sie feindselig:
»Was schnüffelst du um mich herum? Willst wohl meine Geheimnisse ergründen!«
»Vielleicht möchte ich dich nur besser kennenlernen und herausfinden, warum du dich zu allen Menschen so ablehnend verhältst«, sagte Mythor freundlich.
»Man hat so seine Erfahrungen«, murmelte Fahrna, ohne sich beim Studium ihrer Runenschriften stören zu lassen. Manche waren in Gorgan verfasst, andere wieder wiesen Reihen von Zeichen auf, die Mythor völlig fremd waren. Fahrna fügte versöhnlich hinzu: »Du bist noch jung, Mythor, und wirst schon noch merken, dass man niemandem als sich selbst vertrauen darf.«
»Ist Steinmann Sadagar nicht dein Vertrauter?« fragte er.
Fahrna lachte. »Sadagar ist ein Lügner und Betrüger. Er würde mich an Kannibalen verkaufen, wenn er dafür ein Goldstück bekäme. Umgekehrt würde auch ich nicht zögern, ihn zu verraten, wenn ich einen Vorteil davon hätte. Wir sind uns in der Wesensart sehr ähnlich, darum haben wir uns zusammengetan.« »Das glaube ich dir nicht«, sagte Mythor. »Ihr ergänzt euch vorzüglich. Ihr würdet keiner den anderen im Stich lassen.«
»Vielleicht hast du recht«, sagte Fahrna leichthin. »Aber mehr als eine Hassliebe verbindet uns nicht. Wenn ich mein Ziel erreicht habe, kann mir Sadagar gestohlen bleiben.«
»Suchst du wirklich nach der Runenbotschaft der Königstrolle?«
»Was erlaubst du dir!« rief Fahrna voll Empörung und so laut, dass Sadagar aus dem Schlaf schreckte. Er beschimpfte sie und drehte sich auf die andere Seite herum. Fahrna sagte zu Mythor: »Ich durchschaue dich, du willst mich nur aushorchen. Aber nicht mit mir, Bürschchen!«
Wortlos holte Mythor das Pergament unter dem Wams hervor und breitete es vor Fahrna aus. Das Verlangen, dieses Wesen in Wirklichkeit vor sich zu haben und es in die Arme zu schließen, wurde übermächtig. Im Schein der leuchtenden Runen erschien ihm dieses Mädchen schöner als je zuvor.
Als der erste Zauber sich legte, merkte Mythor, dass auch Fahrna beeindruckt war. »Woher hast du dieses Bild?« fragte sie.
»Von Nottr«, antwortete Mythor wahrheitsgetreu.
»Dieser Barbar!« Fahrna sagte es wie ein Schimpfwort. »Wie kann er es nur wagen, dieses Heiligtum zu entweihen!«
»Glaubst du, dass ich seiner würdiger bin?« fragte Mythor.
Fahrna sah ihn an, blickte wieder auf das Bild und dann zurück zu ihm. In ihrem Blick zeichnete sich Erkennen ab.
»Dieses Mädchen hat etwas von mir an sich, nicht wahr?« fragte Mythor.
»In der Tat«, murmelte Fahrna und fuhr mit ihren knöchernen Fingern sanft über das Pergament. »Und weißt du auch, was das bedeutet, Mythor?«
»Ich hoffe, dass du es mir sagen kannst«, antwortete er. »Du bist eine weise Frau, und darum wende ich mich an dich, Fahrna. Ich merke deinem Gesicht an, dass dir dieses Bild viel mehr sagt als mir. Du musst mir verraten, was du darüber weißt.«
Fahrna riss sich von dem Anblick los und lachte gekünstelt. »Ich weiß überhaupt nichts darüber«, sagte sie, aber es klang nicht glaubhaft. »Ich war nur gebannt, weil es sich um eine so wirklichkeitsgetreue Darstellung handelt. Es muss von einem Meister stammen. Ich würde es dir auf der Stelle abkaufen, Mythor.«
»Nie!« Mythor rollte das Pergament wieder zusammen und steckte es weg. »Warum willst mir eigentlich nicht sagen, was dieses Bild dir verrät, Fahrna?«
»Es sagt mir nichts, und das ist die Wahrheit«, behauptete Fahrna zornig. »Du bist ein närrischer Träumer, Mythor. Nur weil du dich in ein Bild vergafft hast, glaubst du, es müsse ein weltbewegendes Geheimnis darin verborgen sein.«
»Und wenn ich dir sage, dass ich für den Sohn des Kometen gehalten werde und mir eine Reihe von Prüfungen auferlegt wurden?« rief Mythor und verriet damit mehr, als er eigentlich wollte.
»Dann erwidere ich, dass du einem Schwindler aufgesessen bist!« rief Fahrna mit schrill erhobener Stimme zurück. »Lass mich jetzt gefälligst mit deinen Albernheiten in Ruhe. Ich habe zu tun.«
Enttäuscht
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