Der wahnsinnige Xandor
sich Nottr die Runenkundige wieder auf den Rücken und trug sie. Eine Weile kamen sie auf diese Weise recht flott voran. Aber als Mythor merkte, dass Nottr immer langsamer wurde, nahm er ihm seine Last ab. Als auch Mythor das zusätzliche Gewicht zu spüren begann und erste Anzeichen von Ermüdung zeigte, war Fahrna bereit, den Weg aus eigener Kraft fortzusetzen.
Nachdem sie einige Stunden unterwegs waren, ohne dass sie etwas von ihren Verfolgern gehört hatten, sagte Sadagar hoffnungsvoll: »Ich glaube, jetzt haben wir unsere Ruhe.«
Aber er hatte kaum ausgesprochen, als sie plötzlich das Heulen eines Wildhundes vernahmen. Es kam von ziemlich nahe. Und gleich darauf fiel aus einer anderen Richtung ein zweiter Wildhund in das Geheul ein. Und dann ein dritter und ein vierter, und nun kamen die unheimlichen Laute von überall hinter ihnen.
»Nein, nein!« rief Fahrna mit schriller Stimme. »Ich will das nicht noch einmal durchmachen. Lieber sterbe ich.«
»Cheksen haben viele Leben«, sagte Nottr und klopfte ihr den Rücken. Fahrna verfiel daraufhin in einen Trott.
Der Boden wurde morastig. Sie sanken immer tiefer ein, und schmatzende Geräusche begleiteten ihre Schritte. Der tiefe Boden war sehr kräfteraubend und hinderte sie am raschen Fortkommen.
Das Lärmen der Wildhunde kam bereits von bedrohlich nahe. Ihr Kläffen wurde wütender, was darauf schließen ließ, dass sie ihre Witterung aufgenommen hatten.
»Nehmen wir wieder Kampfaufstellung ein«, befahl Mythor.
Als er Fahrna hinter sich aufschreien hörte, dachte er, dass dies wieder ein Ausdruck ihrer Verzweiflung sei. Aber als er sich umdrehte, sah er, dass sie bis über die in einem morastigen Loch eingebrochen und der Länge nach hingefallen war. Nottr und Sadagar zerrten sie mit vereinten Kräften heraus. Mythor tat einen Schritt nach vorne und spürte auf einmal, wie auch unter ihm der Boden nachgab.
»Wir sind in einen Sumpf geraten!« rief Sadagar. »Jetzt ist es endgültig aus.«
»Weiter!« befahl Mythor und stapfte unverdrossen durch den knietiefen Schlamm. »Da vorne ist eine Insel. Die müssen wir erreichen, um uns besser verteidigen zu können.«
Doch die Insel aus trockenem, festem Boden war noch etliche Schritte von ihnen entfernt, als der erste Wildhund hinter ihnen auftauchte. Nottr streckte ihn mit einem Pfeil nieder. Ein zweites Tier kam heulend und mit eingezogenem Schwanz ins Blickfeld, und Sadagar erledigte es mit einem Wurfmesser.
Nun brach ein Rudel von zwölf Hunden hervor. Sadagar verbrauchte seine letzten Messer, und Nottr verschoss seine restlichen Pfeile. Aber obwohl sie kein einziges Mal ihr Ziel verfehlt hatten, blieben vier Tiere übrig. Und es stießen weitere zu ihnen.
»Seht nur!« rief Sadagar da verblüfft aus. »Sie bleiben stehen, als scheuten sie vor dem Sumpf. Und jetzt ziehen sie sich sogar zurück.«
Mythor drehte sich um und sah die letzten Hunde im Wald verschwinden.
»Das ist Finte!« behauptete Nottr. »Wir bleiben wachsam!«
»Ich vermute, der Rückzug der Hunde hat einen anderen Grund«, sagte Mythor, als sie den festen Boden der Insel erreicht hatten.
»Und welchen?« fragte Sadagar.
»Dies muss bereits das Hoheitsgebiet des Xandors sein, der nahe von Xanadas Lichtburg haust«, sagte Mythor.
Fahrna, die sich erschöpft ausgestreckt hatte, fuhr mit einem Ruck hoch; Sadagar wurde blass. »Diese Erklärung höre ich gar nicht gerne«, sagte er mit belegter Stimme.
*
Krüdelzuhr gab einen grollenden Laut von sich, als das lästige Summen der Irrwische ihn weckte. Er hatte sich in die Folterkammer zurückgezogen, um in diesen Stunden allein zu sein.
Die Knochenrüstung lastete auf seinem Körper. Er fühlte sich beengt. Das Atmen fiel ihm immer schwerer, er konnte sich kaum noch bewegen. Er trug schwer an dieser Rüstung, die seinen Körper die meiste Zeit des Jahres über schützte, ihm aber nun zu einer unerträglichen Last geworden war.
Bald schon würde er aus der immer dicker und enger werdenden Knochenlarve schlüpfen können. Aber bis es soweit war, brauchte er seine Ruhe. Er musste sich entspannen und all seine Kräfte für den Augenblick aufheben, wenn es soweit war, dass er aus seiner Rüstung ausbrechen konnte.
Und da störte auf einmal ein Schwarm der Irrwische die Stille der Folterkammer.
»Quälgeister!« stieß Krüdelzuhr keuchend durch sein Knochenvisier.
Die Wolke aus irrlichternden Pünktchen, die wie Staub durch die Luft flirrten, stob unter seinen Worten auseinander.
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