Der wahre Feind: Kriminalroman (German Edition)
schwer. Er hätte sich gewünscht, zumindest einen der anderen irgendwo auf dem Platz zu entdecken, damit er wusste, dass alles nach Plan lief. Doch bis jetzt hatte er niemanden gesehen.
Benjamin ging in Richtung Rathaus. Je weiter er kam, desto dichter wurde die Menschenmenge. Zu beiden Seiten von ihm waren kleine Buden aufgebaut, die sich in langen Reihen über den Platz zogen. Er betrat einen Gang, der zwischen ihnen hindurchführte. Ungefähr hier sollte er den Rucksack platzieren. Er trat an die nächste Bude, ein kleines rotes Holzhaus, in dem T-Shirts verkauft wurden. Er ging um den kleinen Stand herum und inspizierte die Rückseite, doch wäre es zu auffällig gewesen, wenn er den Rucksack einfach hier abgestellt hätte. Für einen kurzen Moment überlegte er, ob er den Verkäufer fragen sollte, ob er auf ihn aufpassen könnte, aber ihm fiel keine gute Begründung ein. Außerdem war die Gefahr zu groß, dass der Mann irgendwann in den Rucksack schauen würde.
Er begann zu schwitzen. Die Sache war verdammt anstrengend. Doch schon bald würde sie vorüber sein. Er schaute sich rasch um. Dann entdeckte er ein Stück weiter einen Shawarma-Verkäufer, der mit seinem Wagen auf den Platz gefahren war. Vielleicht konnte er den Rucksack unter dem Anhänger verstecken. Er bahnte sich einen Weg durch die Menge, bis er die Rückseite des Anhängers erreicht hatte. Vorsichtig ging er in die Hocke und streifte sich den Rucksack von den Schultern. Dort, wo sein Rücken schweißnass war, spürte er die kühle Abendluft. Er zog rasch den Reißverschluss auf und vergewisserte sich, dass alles so war, wie es sein sollte. Dann schloss er ihn wieder und schob ihn direkt hinter das Rad. Selbst wenn sich jemand bückte, würde er den Rucksack nicht sehen können. Er richtete sich auf, entsicherte rasch den Detonator und steckte ihn in die Tasche zurück. In sechs Minuten würde hier alles vorbei sein. Dann würde es keine lachenden Stimmen, sondern nur noch Schreien und Weinen geben. Die Leichenteile würden sich über den gesamten Platz verteilen. Und die wenigen Überlebenden würden unter Schock umherwanken und unter den verstümmelten Toten nach ihren Angehörigen suchen. Es war merkwürdig, doch er empfand keinen Hass mehr auf sie. Nicht wie damals in ihrem Getto oder im Snoopy, als er sie am liebsten umgebracht hätte. Jetzt hasste er sie nicht einmal, wenn er daran dachte, wie sie Jannick in Helmand getötet hatten. Was seine Kameraden von der Einheit 8 hatten erleiden müssen. Jetzt taten ihm diejenigen fast leid, die gleich sterben würden. Die Familie dort drüben zum Beispiel, die ihre Cola trank; die Mädchen mit den Luftballons; das kleine Baby, das da vorn in seinem Kinderwagen saß. Er hoffte, dass es schnell gehen würde. Dass sie nicht lange leiden mussten. Doch wie hatte Løvengren so treffend formuliert? In einem Befreiungskampf gibt es keine unschuldigen Opfer. Da sind alle Mittel erlaubt. Es war tragisch, aber notwendig. Das Einzige, was ihn wirklich bedrückte, war die Angst zu versagen. Er hatte eine Mission zu erfüllen, und dabei sollte ihm nicht der geringste Fehler unterlaufen. Hoffentlich würden sie alle mit heiler Haut davonkommen, damit sie später gemeinsam ihren Sieg feiern konnten. Neue Missionen planen. Neue Angriffe starten. Er und L. T. Verstohlen schaute er sich nach ihm um. Wenn es zu einem Feuergefecht kommen sollte, dann würde er nicht abhauen. Dann würde er seine Browning aus der Tasche ziehen und L. T. zu Hilfe eilen. Sein Herz pochte. Noch vier Minuten. Höchste Zeit, den Kontrollpunkt aufzusuchen und in Deckung zu gehen.
*
Storm und Katrine stellten ihren Wagen auf der anderen Seite des Rathausplatzes, am Haus der Industrie, ab. Hinter ihnen parkten die Beamten der Bereitschaftspolizei, die ihnen vom Präsidium aus gefolgt waren. Außerdem hatte Storm telefonisch mehrere PET -Einheiten angefordert. Niels verfolgte bereits die Bilder der Überwachungskameras, um Benjamin irgendwo unter den vielen Tausend Menschen aufzuspüren.
Storm griff unter den Sitz und zog den Holster mit seiner Glock hervor. Er steckte die Pistole in seinen Gürtel und stieg aus. » Mach den Riemen besser gleich ab«, sagte Katrine. » Wenn’s drauf ankommt, hast du keine Zeit, lange herumzufummeln.«
Storm löste den Halteriemen, der die Pistole zusätzlich sicherte, und gemeinsam liefen sie den H. C. Andersens Boulevard entlang, dem Rathausplatz entgegen. Er blickte zur Rathausuhr hinauf. Drei Minuten vor
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