Der wahre Hannibal Lecter
liegt.
Robert John Maudsley denkt darüber nach, wem er diese Situation zu verdanken hat. Sehr schnell findet er einen Schuldigen, über den sich nun sein ganzer Hass ergießt. Mit hochrotem Kopf verlässt er plötzlich seine Zelle. Er bleibt neben der schweren Tür stehen und beobachtet die Nachbarzellen. Hört das Gelächter, das aus den Zellen dringt, vernimmt die freudigen Geräusche des Zusammenseins. Robert selbst stammt aus einem Milieu, in dem es wenig zu lachen gab. Spiele in friedlicher Harmonie, im Kreise von Freunden, hat er nie erlebt.
Ein einziges, besonders herzhaftes Lachen aus der Nachbarzelle löst schließlich eine Tat aus, die später niemand mehr verstehen kann. Robert Maudsley geht langsam in seine Zelle zurück und kramt unter seinem Kopfkissen eine kleine Eisenstange hervor. Mühsam wickelt er eine dicke Kordel um das eine Ende der Stange und geht nach draußen. Er sieht sich um, ob ein Beamter in der Nähe ist. Die Luft ist rein. Er steuert direkt auf jene Zelle zu, in der der Mann sitzt, den er für alle Erniedrigungen der jüngsten Zeit verantwortlich macht.
Schnell überwindet er die kurze Strecke bis zu seinem Ziel, erfasst mit einem Blick die Situation in der Zelle. Zwei Häftlinge beim Dominospiel. Maudsley tritt herein, doch niemand bemerkt ihn. Die Häftlinge sind ganz in ihr Spiel vertieft.
Bedächtig lehnt Robert die Zellentür bis zum Anschlag an.
Er zieht das Eisenrohr mit der daran befestigten dicken Schnur unter seiner Anstaltsjacke hervor und nähert sich seinem Opfer.
Immer noch merken die beiden nichts. So viel Unaufmerk-samkeit macht Robert noch wütender, und mit einem kräftigen Schlag haut er das Spiel vom Tisch. Erschrocken sehen die beiden auf. Dann hören sie auch schon Roberts wuterstickte, sich beinahe überschlagende Stimme: »Du, David Francis, hast mein Leben zerstört, und deshalb wirst du jetzt sterben. Es wird keine Diskussionen geben wie bei Bill. Du wirst den Raum nur noch auf einer Bahre verlassen, das verspreche ich dir.«
Dabei legt Maudsley seinem früheren Zellengenossen die Kordel um den Hals, zieht die Schlinge immer enger. Fast ohnmächtig vor Angst sieht Davids Mitspieler zu. Davids Augen treten aus den Höhlen, sein Kopf läuft blau an, seine Gegenwehr erschlafft. Dann fällt Davids Kopf zur Seite. Vor Gericht wird Maudsley später aussagen, dass der dritte Mann im Raum ihm bei den Vorbereitungen und beim Mord selbst geholfen hat. Ob das stimmt, weiß man bis heute nicht.
Im Hochsicherheitsgefängnis von Wakefield
Robert John Maudsley ist inzwischen fast 25 Jahre alt. Der Kalender an der Wand seiner Zelle zeigt den Monat Februar 1978. Bis vor einigen Monaten war er noch ein Gefangener mit verminderter Zurechnungsfähigkeit. Er hatte noch einmal eine Chance erhalten, die Gefängnismauern als freier Mann verlassen zu können. Das Gericht hatte ihm in Aussicht gestellt, dass er in einigen Jahren entlassen werden könnte.
Doch die Erwartungen des Gerichts sind bei diesen so genannten »Patienten« sehr hoch gesteckt.
Von den meist noch sehr jungen Gewalttätern wird erwartet, dass sie während ihrer Inhaftierung ein gesundes Selbstwert-gefühl entwickeln. Meist haben diese aggressiven jungen Männer nie gelernt, ihre Probleme ohne ihre Fäuste zu lösen.
Beinahe jede menschliche Beziehung endete irgendwann in Gewalt. Viele sind gesellschaftliche Außenseiter. Von klein an stehen sie am Rande der Gesellschaft, sie sind in ein Milieu hineingeboren, das nur demonstrativ gezeigte Stärke anerkennt.
In der Schule waren sie es gewohnt, sich alles, was ihnen gefiel, einfach zu nehmen. Zu oft haben sie das von den eigenen Eltern vorexerziert bekommen. Wenn der eigene Vater schon die Mutter schlägt, dann kann es ja wohl nicht so schlimm sein, einen Mitschüler zu verprügeln. Meist blieb nur die Straßenbande, um den aufgestauten Aggressionen freien Lauf zu lassen. Diese Jungs hatten nie etwas zu verlieren außer sich selbst. Durch die Kraft in den eigenen Armen versuchten sie den Abstand zu den anderen zu verringern.
Die meisten Patienten in Broadmoor haben einen solchen Lebensweg hinter sich. Robert Maudsley nicht. Er war immer ein Einzelgänger. Nie hätte ihn eine Gang aufgenommen – ihn, den mit Minderwertigkeitskomplexen beladenen, lispelnden Hünen.
Sein Bruder bestätigte später immer wieder: »Robert war nie gewalttätig, weder als Kind noch als Jugendlicher. Wenn es Zoff gab, habe ich das erledigt. Robert mischte sich nie ein. Er
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