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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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stellen …»
    Erste Anfänge einer privatwirtschaftlichen Praxis.
    Er hörte etwas an der Wohnungstür, schob den Brief rasch in den Umschlag und legte den Stapel ins Fach zurück. Das rote Band schlang er einfach herum.

[zur Inhaltsübersicht]
    Zehn
    Ein alter Toyota, grün schimmernd wie ein Rosenkäfer, mit unauffälligen Rostflecken, folgte ihm langsam in die Einfahrt, als er den Hof des Hauses in der Peremohy überquerte. Er trat zur Seite, um den Wagen vorbeizulassen. Bewohner des Hauses, Nachbarn oder auch Wohnungslose hatten es sich auf der Mauer bequem gemacht, die den schmuddeligen Hof von einem glänzenden Neubau abgrenzte. Sie sonnten sich, redeten und tranken. An den Hauseingängen waren keine Namensschilder, nur die bekannten Tableaus mit den Knöpfchen. Die Tür zur Nr.  8 war nur angelehnt, er brauchte weder zu klingeln noch den Code einzugeben. Beim Eintreten sah er noch, wie der Toyota weiterfuhr.
    Auf sein Läuten an der Wohnung öffnete zunächst niemand. Er hörte aber ein Rascheln hinter der Tür, die mit Kunstleder gepolstert und mit messinggoldenen Nietnägeln beschlagen war. Zwei Schlösser vermittelten einen Eindruck von Sicherheit.
    Er klingelte noch mal.
    «Herr Professor Guzman!», sagte er ziemlich laut. «Krynitzki ist mein Name. Ich habe nur eine Frage.»
    Im Schloss drehte es sich, dann ging die Tür ein Stück weit auf. Ein alter, grauhaariger Mann erschien im Spalt hinter der Kette, gebeugt, mit großen, leicht Basedow’schen Augen.
    «Ich heiße Konrad Krynitzki. Ich forsche nach einem Fall aus der Pawlowka-Klinik.»
    «Ich arbeite schon lange nicht mehr in der Pawlowka», antwortete Guzman.
    «Ich weiß. Aber ich brauche dringend Ihren Rat. Es geht um Arkadij Solowjow.»
    Die Kette wurde zurückgezogen, die Tür ging auf.
    «Kommen Sie rein.»
    Guzman ging im dunklen Flur voran und führte Konrad ins Wohnzimmer. Es roch nach Chloroform oder Desinfektionsmitteln, wie in einer Arztpraxis.
    «Wie geht es ihm denn, unserem Arkadij Jurjewitsch?», fragte er.
    «Besser, in letzter Zeit besser», sagte Konrad.
    Die Tür zum überdachten Balkon stand offen. Durch die Holzverschalung konnte man den Verkehr auf der Peremohy hören. Die Hitze drang in das Zimmer. Konrad setzte sich. Als Guzman in die Küche ging, um Wasser aufzusetzen, hörte Konrad zum ersten Mal das Rasseln. Wie eine Waschmaschinentrommel, die sich schleichend dreht und das Wasser rhythmisch plätschern lässt.
    «Meine Frau», erklärte Guzman. «Sie liegt im Sterben. Ich hoffe, es stört Sie nicht.»
    Konrad schüttelte erschrocken den Kopf.
    «Ich kann die Schlafzimmertür nicht schließen. Wenn sie mich nicht hört, wird sie unruhig. Am besten ist es, ich laufe in der Wohnung herum und rede mit mir selbst. Irgendwas, sie muss nur meine Stimme hören. Als alter Mann hat man ja auch viel mit sich zu bereden.»
    Konrad nickte. «Man sagte mir in der Klinik, Sie hätten Arkadij Solowjow in den achtziger Jahren behandelt. Ich habe die Krankengeschichte studiert und hätte einige Fragen an Sie.»
    «Ich erinnere mich gut. Ein sehr sensibler Mann. Der Patient hat mich bis ins Privatleben beschäftigt. Einer jener Fälle, die man am Feierabend nicht einfach ablegen kann. Deshalb habe ich auch veranlasst, dass die Sitzungen auf Tonband aufgenommen werden.»
    «Existieren diese Bänder noch?»
    «Das vermute ich.»
    «Was hat Sie denn so an Arkadij fasziniert?»
    «Dass er so vieles in seinem Schicksal vereinte: Kind einer Kulakenfamilie, die dem sowjetischen Terror zum Opfer gefallen war, und dann seine persönliche Geschichte, die abwesende Mutter, seine Liebe zum Kindermädchen. Diese hauchdünne Grenze zwischen überschäumender Phantasie und klinischer Diagnose. Ohne die schweren Depressionen hätte man ihn nie aufgenommen.»
    «Der aktuelle Arzt, Dr. Prokoptschuk, kennt den Fall nicht besonders gut. Er behandelt ihn erst seit einem Jahr.»
    «Wir hatten damals eine vorzügliche Ärztin, die abends die Tonbandprotokolle mit nach Hause genommen und abgetippt hat, weil sie den Fall so faszinierend fand.»
    «Dr. Medwedjewa?»
    «Ja. Die Protokolle sollten Sie als Allererstes lesen.»
    «Das tue ich gerade.»
    «Ich hatte damals vor, einen Forschungsbericht zu schreiben, und habe mir die Durchschläge mit nach Hause genommen. Leider bin ich nie dazu gekommen. Der Alltag, die Arbeit, das Geld, Sie wissen schon. Was wollen Sie von mir wissen?»
    «Mich interessiert vor allem diese Phobie vor Frauen und Käfern, die

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