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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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ich hatte darum gebeten, die Feier möglichst weltlich zu gestalten. Wir waren keine Anhänger von diesem kirchlichen Firlefanz. Die Kommunisten hatten eine Vorbildfunktion. Heute ist das zwar wieder groß im Aufwind, aber ich sage Ihnen …»
    «Svetlana, ich habe hier ein Foto von einem Mann. Können Sie sich das einmal ansehen und mir sagen, ob dieser Mann auf der Beerdigung war?»
    «Nein. Ist das ein Verbrecher?»
    «Kennen Sie ihn?»
    «Nie gesehen. Ich dachte nur, weil er diese Nummer vor der Brust trägt. Wer ist das?»
    «Wasyl Holota», sagte Konrad. Diesmal konnte er keine besondere Reaktion bei Svetlana erkennen.
    «Haben Sie nicht neulich schon nach dem gefragt? Er hat ein bisschen Ähnlichkeit mit Jurij, als er jung war.»
    «Aber Ihr Mann ist es nicht?»
    «Unsinn. Den würde ich wohl erkennen.»
     
    «Ich gehe einkaufen», kündigte Svetlana am nächsten Morgen an. «Möchten Sie etwas Besonderes essen heute, soll ich etwas mitbringen?»
    «Nein, vielen Dank», sagte Konrad, der das erste Mal allein in der Wohnung sein würde.
    Er blieb einige Minuten in der Küche sitzen. Er hatte Svetlana schon ein paarmal beim Abwasch helfen wollen, sie hatte empört abgewehrt. «In Russland macht die Frau den Haushalt. Sie bleiben sitzen!»
    Drei Kinder spielten unter dem diesigen Himmel. Konrad stand auf und trat ans Fenster. Eine Weile schaute er hinaus. Dann wandte er sich zum Flur. Es war bedrückend dunkel in dieser Wohnung. Links herrschte Finsternis, die Tür zum Wohnzimmer war geschlossen. Durch das Milchglas der Kinderzimmertür fiel ein gelbgrauer Schimmer. Das Schlafzimmer der Eltern und Olhas schmale Kammer lagen am Ende, ebenfalls geschlossen. In so einer Wohnung aufzuwachsen, unter solchen Umständen, das war psychisch nicht gerade gesund, dachte Konrad. Die gegenüberliegende Flurseite war die Grenze zu jener Wohnung, in der die Nachbarn lebten. Dahinter hörte er manchmal Stimmen, dumpf und entstellt, nicht laut genug, dass man etwas verstehen konnte. Konrad schaltete die Deckenlampe nicht ein, sondern öffnete die Tür zum hellen Wohnzimmer. Eine Couch und zwei Sessel an einem niedrigen Tisch. Vom Stil und Alter her hätte es noch dieselbe Couch sein können, auf der Arkadij in kurzen Hosen gelegen und seiner Olha beim Bügeln zugesehen hatte. Wahrscheinlich aber hatte Svetlana in der Chruschtschow-Zeit eine neue angeschafft. Auf einem Tischchen in der Ecke der klotzige Fernsehapparat. Konrad setzte sich auf die Couch und ließ den Blick durch das Zimmer schweifen. Er hielt die Nase an die dicke Armlehne und schnupperte. Dann ließ er den Kopf zur Seite fallen, als säße Olha dort. Nach einer Weile stand er auf und trat an den großen, dunklen Schrank. Im Mittelteil standen zwei filigrane Modellschiffe, ein Zweimaster und ein flaches Kriegsschiff mit Geschützen. An ihnen vorbei blickte Konrad in einen Spiegel und erschrak über sein blasses Gesicht, es kam ihm vor wie das eines Fremden. Die Schlüssel der Schranktüren steckten. Er horchte ein paar Sekunden in den Flur, in Richtung Treppenhaus. Dann öffnete er die linke Seite. Weinkrüge, Schnapsgläser mit dem Aufdruck von Kurorten, Georgien, Schwarzmeer, Sochumi, Kleinkram, Untersetzer. Er griff nach hinten in die Tiefe des Faches. Ein Stapel Papiere. Sonst nichts. In der rechten Schrankseite fand er hinter Servietten mehrere Briefumschläge, mit rotem Geschenkband verschnürt. Der Knoten saß fest, und die Briefe ließen sich nicht herausziehen, er musste die Schlaufe mit dem Fingernagel öffnen.
    Den fahrigen Handschriften nach zu urteilen, waren die meisten Absender ältere Menschen. Unbekannte Namen. Er zögerte, einen Brief aus dem Umschlag zu nehmen, weniger aus Anstand denn aus Furcht, sie nicht schnell genug zurücklegen zu können, sollte sich der Schlüssel in der Wohnungstür drehen.
    Tanten, Verwandte, Glückwünsche zum Hochzeitstag. Eine Karte mit der aufgeklebten Zahl 35 , mit Goldflitter.
    Dann ein Umschlag mit dem Absender Leonid Guzman. Dr. Leonid Guzman, der Psychiater, der Arkadij seit 1986 behandelt hatte. Mazepa hatte es nicht geschafft oder nicht gewollt, ihm zu sagen, ob er noch lebte und wo er wohnte. Das Datum über der Briefmarke war nicht zu entziffern. Auf der Rückseite stand handschriftlich die Absenderadresse: Kiew, vul. Peremohy  8 .
    «Sehr geehrte Svetlana Kirillowna,
    für die Behandlung Ihres Sohnes Arkadij am 19 . Juni 1989 erlaube ich mir, den untenstehenden Betrag in Rechnung zu

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