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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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hatten.»
    «Aber Arkadij war nicht immer so.»
    «Als Olha ihn mir weggenommen hatte, konnte ich wenigstens mit meinem Sohn reden.»
    «Was konnten Sie?»
    «Ja, ich war in der Küche, habe gekocht und konnte seine Stimme hören. Mein Sohn war da, und ich sprach mit ihm. Denken Sie nicht, ich wäre verrückt. Obwohl ich es vielleicht langsam werde. Wenn Sie weggehen, werde ich es.»
    «Sie wissen ja nicht einmal, ob es ein Sohn geworden wäre.»
    Sie lächelte abwesend, fast verächtlich.
    «Doch, eine Mutter spürt das. Ich habe ihn damals schon vor mir gesehen. Sein kleines, rundes Gesichtchen, weiß und weich. Seine strahlenden Augen, wenn ich zu ihm gesprochen habe. Er war so klug, er hat mich auf Anhieb verstanden. Noch den leisesten meiner Gedanken.»

[zur Inhaltsübersicht]
    Dreizehn
    In dieser Nacht ging Konrad mit einem seltsamen Gefühl schlafen. Svetlanas Tränen hatten ihn aufgewühlt, hatten ihm den Eindruck gegeben, etwas Wahres zu erleben. Für einen ironischen Menschen wie ihn, der nie viel von sich preisgab, war das ein seltenes Erlebnis. Fast, als wäre er dadurch lebendiger geworden.
    Er ließ das Fenster zum Hof offen stehen und lauschte dem Laub im Wind. Es war nicht das resignierte Rascheln alter, rippiger Blätter, sondern ein zartes, jugendliches Kräuseln. Wenn der Wind von Norden wehte, trug er das Quietschen der Straßenbahn von der Glybotschickaja Straße herüber. Vom Spielplatz hörte er Stimmen, zwei oder mehr Personen redeten betrunken durcheinander. Immer wenn er hoffte, sie hätten sich verzogen oder wären vielleicht im Sandkasten eingeschlafen, bölkte einer von ihnen wieder los und riss ihn aus dem Halbschlaf.
    Svetlana ließ stets das Licht im Flur an. Die pockennarbige Glasscheibe in der Tür leuchtete gelb. Irgendwann hörte er sie in Richtung Toilette schlurfen. Er wartete ab, bis sie zurück im Schlafzimmer war. Durch die Wand hörte er ihre Matratze knarren, auch Arkadij musste gehört haben, wie seine Eltern sich im Bett bewegten. Dann, mitten in der Nacht, zog Konrad sich an, um noch einmal nach draußen zu gehen.
    Er tappte auf Zehenspitzen nach rechts und verstand in diesem Moment, warum Arkadij nie nach links gehen durfte. Am Ende des Flures lag Olhas Zimmer.
    Er verließ die Wohnung und lief zwischen den geparkten Autos hindurch, die Straße geradeaus, bis er weiter unten an einen Platz kam, von dem aus der Dnjepr zu sehen war. Dort stand er lange und sah auf das nächtliche Wasser. Die Lichter der Stadt blinkten auf dem Schwarz. Es zog ihn weiter nach unten, er hatte keine Angst in den hallenden, menschenleeren Gassen. Die Größe des Geständnisses, das ihm eben gemacht worden war, ließ alle alltäglichen Gefahren harmlos erscheinen. So groß war es, dass es sich über die Welt stülpte wie eine Glaskugel, unter der nur noch künstlicher Schnee rieselt. Am Hang zum Wasser herrschte Dunkelheit. Einzelne Lichter vom anderen Flussufer blinkten durch das Gesträuch, wie Sterne. Vorsichtig tastete er sich auf den schiefen Betonplatten entlang. Das war der verwilderte Weg, auf den er sich bei seiner Ankunft verirrt hatte. Vom Fluss her ein süßlicher Geruch nach Fisch und Wasser.
    Dann plötzlich Zigarettenrauch. Beißender, säuerlicher Tabak, den er aus Polen kannte. Als er die Zweige knacken hörte, war es schon zu spät. Jemand stieß ihn mit voller Wucht von hinten an der Schulter, er stolperte, fand keinen Halt, stürzte. Schlug sich das Knie am Beton auf und krümmte sich, doch gerade in diesem Schmerz war er froh, dass endlich etwas geschah. Ein zweites Paar Schritte näherte sich rennend, Konrad hörte eine raue, ältere Männerstimme, schwer erkältet oder heiser vom Trinken. In brutal gestammelter, abgehackter Sprache verständigten sie sich mit einem Dritten.
    Er hatte keine Angst um sein Leben. Im ersten Schreck, wenn der schmerzgekrümmte Körper sich windet, hat man keine Angst.
    «Was suchst du hier?», fragte einer.
    «Frische Luft schnappen», presste er mit Mühe heraus.
    Sie zerrten ihn hoch, kürzten die Serpentinen des Betonweges ab, zogen ihn quer durchs Gebüsch, dann über die leere Straße nach unten ans Ufer. Die Laternen warfen ein schwaches Licht: Auf einem Klappstuhl, den Rücken zu ihm, saß eine Gestalt, die aufs Wasser blickte. Konrad sah nur den dunklen Umriss und eine Art Mütze schräg auf dem Kopf. Als er näher kam, erkannte er die Angelrute, die vor dem Mann im Gras lag.
    Sie stießen ihn auf den Boden.
    «Dieser Verrückte treibt

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