Der wahre Sohn
schwamm ein silbriger Fisch. Für den Transport aus einer Aquarienhandlung schien die Tüte gut geeignet, aber als er genauer hinsah, erkannte er so etwas wie eine Leber oder ein anderes Organ, das zur Transplantation vorbereitet war, prall und rot und an einer Seite gerillt wie die Kiemen eines Fisches. Svetlana wollte dieses schwimmende Etwas erst dem Psychiater reichen, der wandte sich angewidert ab, floh über den langen Korridor seiner Klinik, seine Schritte hallten wie in einer Tropfsteinhöhle, und als sie verklungen waren, drehte Svetlana sich zu Konrad um. Das hatte er befürchtet und war doch wie gelähmt. Sie trat auf ihn zu und rief: Das ist mein Kind, siehst du, ich kann sehr wohl lieben, schau her, mein Kind! Konrad wich zurück. Wenn er genauer hinsah, erkannte er die rote nackte Leber oder das Herz, sobald er den Blick wieder hob und Svetlana ins Gesicht schaute, schwamm in der Tüte wieder ein Fisch. Wirklich wundern konnte er sich aber nur über das Plätschern. Svetlana rief und rief, sie bedrängte ihn und wollte ihm dieses Nichtkind als Beweis überreichen und es gleichzeitig loswerden, aber alles so gehetzt und hysterisch, als glaubte sie selbst längst nicht mehr daran, als wäre ihre letzte Hoffnung, dass wenigstens er ihr Glauben schenkte. Er aber konnte ihr nicht helfen, ihm war fast übel bei dem Anblick, er versuchte wegzurennen und konnte nicht.
Vor lauter Angst wachte er auf.
Ihn fröstelte. Er lag alleine da, das Wasser war nicht mehr schwarz, sondern neblig grau. Einige Hundert Meter stromabwärts fuhr ein Lastkahn. Seine Wellen plätscherten erst jetzt ans Ufer. Der dunkle Vorhang über dem Ostufer hatte sich einen Spalt weit gehoben und ließ einen dünnen Streifen Licht durchscheinen. Eine Grenze zwischen Tag und Nacht, wie mit dem Pinsel gezeichnet. Wenige Meter entfernt lag die leere Flasche, glänzende Fischschuppen waren über die Steine verstreut. Oben rasten Autos vorbei. Er befühlte das Loch in der aufgerissenen Hose, zuckte zusammen, als er mit dem Finger an die Schürfwunde kam. Dann tastete er sein feuchtes Jackett ab. Fand das Portemonnaie, die Geldscheine waren noch darin, ebenso der Zettel mit der letzten Konstellation.
Svetlana war schon in der Küche, als er nach Hause kam. Er schleppte sich sofort ins Bad, wollte erbrechen, steckte den Finger in den Hals, es ging nicht. Er spülte, damit sie nichts mitbekam, er hörte sie fröhlich rufen. Das Geständnis hatte offensichtlich alle Spannung von ihr genommen. In der Küche stach ihm das helle Tageslicht in die Augen. Er konnte fast nichts sehen vor Kopfschmerz.
«Mein Gott, was ist mit Ihnen passiert?»
«Nichts, nichts.»
«Und Ihre Hose? Das Knie? Wollen Sie behaupten, dass mit Ihnen alles in Ordnung sei? Ich glaube, ich werde den Arzt rufen.»
«Lassen Sie.»
«Wo waren Sie?»
Er ging in sein Zimmer, ohne zu antworten.
«Sie müssen mir sagen, was los ist!», rief sie.
Er warf sich aufs Bett.
«Ein hübsches Auto», sagte Svetlana, nachdem sie eine Weile in der Tür gestanden hatte. «Selbstgebastelt?»
«Was für ein Auto?» Kopfschmerz und Übelkeit machten ihn höllisch wütend, und gerade dieses Wort schmerzte wie ein Stich. Er fürchtete, sie könnte ihn wieder auf den Arm nehmen. Dann begriff er, ohne dass er die Augen öffnen musste.
«Von Arkadij.»
Sie rührte sich nicht von der Tür.
«Damals war er ein guter Ingenieur. Er hat die Rechner in dem Stahlwalzwerk zum Laufen gebracht. Heute sägt er Autos aus Sperrholz.»
Damit sie endlich ging, brummte Konrad:
«Ich glaube, es wird alles gut.»
«Nein», sagte sie. «Nichts wird gut.»
Und schloss die Zimmertür.
Konrad schlief bis in den Nachmittag, dann ging er zu Guzman.
«Ich habe herausgefunden, dass Olha einen Sohn hat.»
«Was Sie nicht sagen. Was ist denn mit Ihnen passiert?»
«Kleiner Unfall, nicht der Rede wert.»
«Schauen Sie mal, ich will Ihnen auch etwas zeigen. Damit wir nicht immer nur über unsere kleinen, privaten Dinge reden. So bedeutend sind die ja auch nicht. Ich hatte Ihnen neulich mein Schicksal angedeutet. Beim Aufräumen ist mir dieser Band mit Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg in die Hände geraten. Wenn Sie so oft in der Klinik waren, sind Sie ja gar nicht weit von Babij Jar gewesen. Haben Sie den Ort einmal besichtigt? Es sind nur wenige Schritte.»
Konrad war einmal zufällig vorbeigekommen und vor dem Mahnmal stehen geblieben. Schon aus der Ferne hatte er die laute Discomusik gehört, die aus
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