Der wahre Sohn
sich hier rum.»
In einem Plastikeimer neben dem Klappstuhl blinkte ein heller Fisch im schwarzen Wasser.
Der Mann wandte nur kurz den Kopf, dann starrte er wieder seiner Angel nach. Er schien sich in der Rolle der grauen Eminenz zu gefallen. Er schwieg lange und ausgiebig.
Sie würden ihn hier nicht umbringen, dachte Konrad, nicht in Sichtweite der Straße. Wenn sie das wollten, hätten sie es längst oben im Dickicht getan. Er musste nur aufpassen, was er sagte. Er war fast froh, endlich die Grausamkeit der Geschichte am eigenen Leibe zu spüren, statt immer nur Arkadijs von Psychopharmaka künstlich gesteigerte poetische Ergüsse zu lesen, die umso selbstverliebter ausfielen, je mehr Guzmans Aufmerksamkeit ihm schmeichelte. Statt Svetlanas tränenreiche Geständnisse zu hören, die Grausamkeit nur in ihren Ausflüchten und Lügen zu ahnen.
«Was suchst du?», fragte der Mann fast unerwartet. Er hob die Angelrute und zog die Schnur ein.
«Wollte spazieren gehen.»
«Glaubst du, du kannst uns verarschen?», schimpfte einer von den dreien.
«Ich suche ein Auto», fing sich Konrad.
«Die guten Marken stehen weiter oben, am Kreschtschatik.»
Der Angler schwieg wieder.
«Woher bist du?», fragte er dann.
«Aus Berlin.»
Der Chef hob eine Flasche ohne Etikett vom Boden und reichte sie Konrad.
«Za zdarowje», sagte er.
Konrad richtete sich ein wenig auf, nahm einen vorsichtigen Schluck. Er konnte das Gesicht des Mannes sehen, es hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem Wasyl Holota vom Foto. Die eine Ohrmuschel war dicht am Kopf mit einem glatten Schnitt abgetrennt worden, trotz dieser Entstellung und der breitgedrückten Boxernase konnte man die einstige Menschlichkeit des Gesichts erahnen, vor allem im Blick. Er war nicht stumpf, sondern neugierig und wachsam. Konrad fragte:
«Kennt ihr Wasyl Holota?»
Der Mann sah ihn verblüfft an, dann brach er in Gelächter aus, legte die Angel weg und fiel fast von seinem Hocker, er übertrieb dieses Lachen theatralisch. Seine Kumpane lachten auch.
«Komm, nimm noch ’nen Schluck.»
«Wenn du ein Auto suchst, bist du bei ihm an der richtigen Adresse. Der fährt jetzt einen super Schlitten. Import aus Deutschland. Irgendwelche Trottel versuchen, es ihm wegzunehmen. Deshalb hat er es aus der Stadt geschafft.»
«Beißen die denn in der Nacht?», fragte Konrad und fand jetzt den Mut, sich umzudrehen und auf den Boden zu setzen.
Der Chef zeigte auf den Eimer.
«Genug, um Spaß zu haben. Wir leiden alle an Schlaflosigkeit.»
Seine Leute brüllten.
«So wie du?», fragte er dann.
«Ich hatte Ärger zu Hause», erklärte Konrad. «Hab mich mit meiner Mutter gezankt. Sie wollte mir die Schuld an ihrem verpfuschten Leben geben.»
«Weiber», nickte der Chef und wunderte sich:
«Du hast eine Mutter in Kiew?»
«Ja, mein Vater ist mit mir nach Berlin. Vor Jahren.»
«Wie ist es denn in Berlin? Geht da was?»
«Auf jeden Fall. Viel los.»
«Dein Vater ist Deutscher?»
«Ja.»
«Arschloch. Eine Frau einfach sitzenzulassen.»
Konrad nickte verbittert. In Wirklichkeit war ihm nach dem Getränk, das bestimmt doppelt so viel Prozent hatte wie Wodka, sehr wohl. Die Welt war dicht, voll und aufregend, der Fluss glitzerte vielversprechend, er war ganz nah dran an dem Mann, den er suchte. Niemand stieß ihn, niemand trat ihn, diese Männer schienen einen rauen Respekt vor ihm zu haben, seit sie gehört hatten, dass er aus Deutschland kam. Gern hätte er weiter nach Holota gefragt, verkniff es sich aber. Der Chef selbst fing wieder damit an.
«Was willst du von Wasyl?»
«Nichts. Ein Freund von mir hat von ihm erzählt. Hat mir imponiert.»
«Wie ein Trottel siehst du eigentlich nicht aus.»
«Unser Kumpel Ihor ist neulich draufgegangen, weil er zu viel geredet hat», sagte jetzt einer.
«Schnauze!», fuhr der Angler ihm über den Mund. Und dann ruhiger zu Konrad:
«Sprich den Namen nie wieder aus.»
Konrad spürte jetzt den Alkohol und machte es sich auf einer moosbewachsenen Steinplatte bequem. Anfangs hatte er sich beim Reden noch auf einen Ellbogen gestützt, nun überkam ihn unüberwindliche Müdigkeit.
Dann war alles dunkel. Diese Dunkelheit dauerte lange. Er hörte Schritte, das Rascheln von Plastik, halblaute Stimmen. Als alles ruhig geworden war, tauchte Svetlanas helle Gestalt aus dem Dunkel auf. Sie hielt eine große, durchsichtige Plastiktüte in der Hand, prall gefüllt mit Wasser. Seltsamerweise hörte er das Wasser deutlich plätschern. In der Tüte
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