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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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verbracht, im Schnee an der finnischen Grenze. Wenn Schnee liegt, brennt die Sonne noch stärker, weil die Kristalle sie widerspiegeln. Seine Gesichtszüge waren schärfer geworden. Er hatte stark abgenommen, und seine Augen lagen schwarz in den Höhlen. Brennende Augen, und gleichzeitig voller Angst, gehetzt. Sogar Svetlana erschrak, als sie ihn sah.
    Später, als er seinen Mantel ausgezogen hatte und auf dem Sofa im Wohnzimmer saß, holte Svetlana mich. ‹Na, komm schon›, sagte er zu mir. Ich ging hin, setzte mich auf seine Knie, und er umarmte mich. Seine Uniformjacke roch nach Schnee und Erde.
    ‹Wie war es ohne mich?›, fragte er. ‹Hast du gut auf die Frauen aufgepasst?› Da wurde ich knallrot. Ich war überzeugt, dass er alles von mir und Olha wusste.»
    Es lag vielleicht am Schamgefühl, dass Konrad Arkadij nach dieser Lektüre nicht gleich unter die Augen treten wollte. Die Geständnisse, die Professor Guzman ihm entlockt hatte, gingen sehr in die Tiefe. So ohne weiteres hätte er das niemandem erzählt. Vielleicht hätte er es selbst nicht einmal gewusst.

[zur Inhaltsübersicht]
    Sieben
    Dass Muschter schon nach so kurzer Zeit anrief, war ungewöhnlich. Meistens redeten sie erst wieder, wenn Konrad von einem Einsatz zurück war. Der Junge an der Rezeption zeigte auf eine der holzgetäfelten Telefonkabinen in der Halle.
    «Ich sehe, es gefällt Ihnen in Kiew?», lachte Muschter aus dem Hörer. «Sie nehmen sich Zeit für die Stadt.»
    Deutsche Worte verliehen der Welt sofort festere Konturen. Als wäre ein Schleier von ihr gezogen worden, war sie gleich weniger geheimnisvoll, weniger vieldeutig. Schon nach Muschters ersten Worten begriff Konrad, dass er in seiner eigenen Sprache nie so tief in diese andere Wirklichkeit hineingezogen worden wäre.
    «Ist eine Menge zu tun, ja.»
    «Wie weit sind Sie?»
    «Ich habe schon einiges in Erfahrung gebracht. Der Halter des Fahrzeugs ist tot.»
    «Ja, wissen wir. Von Jurko.»
    «Aber der Wagen ist noch nicht umgemeldet, und es sieht nicht so aus, als hätte irgendjemand es eilig damit.»
    «Wissen wir auch.»
    «Von der Polizei ist nichts zu erfahren. Die wollen hier angeblich alle erst mal Geld.» Er dämpfte seine Stimme und spähte in die Halle. «Dieser Anwalt spielt auch eine undurchsichtige Rolle. Er berichtet mir von einem ominösen Kriminellen namens Holota, der der Nutzer des Autos sein soll. Aber das hat er schon vor Tagen gesagt, und bewegen tut sich seither gar nichts. Ich habe den Eindruck, er hält Informationen zurück. Vielleicht will er auch nur möglichst viel für sich herausschlagen und spielt auf Zeit.»
    «Wir haben bislang sehr gute Erfahrungen mit dem Mann gemacht.»
    «Mag sein. Ich verfolge jedenfalls meine eigene Spur. Ich bin gerade an der Witwe dran.»
    «Meinen Sie, die hat was damit zu tun?»
    «Ich weiß es nicht. Jedenfalls stimmt da etwas nicht. Sie hat einen Sohn, merkwürdige Gestalt, über den ich noch keine endgültige Klarheit habe. Vielleicht ist er die Lösung des Problems. Es scheint, als hätte sie ein ganz spezielles Verhältnis zu diesem Kind. Überhaupt stimmt etwas in dieser Familie nicht.»
    «Krynitzki?»
    «Ja?»
    «Krynitzki, das Auto. Wo ist der Wagen? Uns interessiert diese Familie nicht, bei allem Respekt, wir suchen das Auto.»
    Der Satz war so simpel, dass Konrad ihn nur mit Mühe verstehen konnte. Er musste sich zum Verständnis seines Sinns zwingen wie ein Linkshänder sich zum Schreiben mit der Rechten. Was dachten die sich denn alle? Jeder glaubte, das Wort Auto nach Lust und Laune verwenden zu dürfen. Sie gingen so leichtfertig mit dem Begriff um, als wollten sie es ausspucken.
    «Aber das ist doch ein und dasselbe», erwiderte er etwas zu eilig. «Um etwas über das Auto herauszukriegen, muss ich mich auf diese Leute hier einlassen. Um den Wagen machen Sie sich mal keine Sorgen, der geht uns nicht durch die Lappen. Falls er nicht längst in Taschkent ist, steht er wahrscheinlich gar nicht weit von hier in einer Garage, mit Plane zugedeckt, sodass er auch durch die Ritzen der Wände nicht zu erkennen ist. Dem passiert nichts, aber wir können lange nach ihm suchen. Soll ich hier sämtliche Hinterhöfe abgrasen und nachts Garagen aufbrechen?»
    «Ich werde Ihnen jetzt keinen Crashkurs in Ermittlungsarbeit geben», bemerkte Muschter trocken.
    «Der einzige Weg, an das Auto heranzukommen, führt über diese Familie. Das ist meine Methode. Ich rieche förmlich, dass dort etwas

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