Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
Vom Netzwerk:
Sie lachte, aber sie drohte auch, als sie lachte. Das war unser kleines Geheimnis. Aber von da an durfte ich nicht mehr zu ihr ins Bett. Ich war fast stolz darauf, denn es bedeutete für mich irgendwie, dass ich nun erwachsen war. Und ihr Beschützer.»
    «Und Sie glauben, deshalb könnte Ihr Vater böse geworden sein?»
    «Deshalb hat er sie am Ende weggebracht.»
    «Weshalb? Wegen dieser Spielereien?»
    Arkadij schweigt.
    «Dann waren Sie sicher böse auf Ihren Vater?»
    «Nein, nicht böse. Ich habe es ja verstanden. Er musste das tun, und am meisten hat er selbst gelitten. Er hatte sie wirklich gern. Aber Svetlana hat ihn gezwungen, sie wollte Olha weghaben.»
    «Darf ich noch einmal fragen – um es besser zu verstehen: Was hat Ihnen an Olha so besonders gefallen?»
    «Sie war so ein guter Kamerad. Und sie roch so gut. Wenn wir morgens nach dem Aufstehen im Flur aneinander vorbeimussten, haben wir uns immer gebalgt. Keiner wollte den anderen durchlassen. Sie kam von der Toilette, ich war auf dem Weg dorthin, oder umgekehrt. Meistens war sie die Erste. Sie stand früh auf. Wenn wir miteinander rangen, stieg mir oft ihr Achselschweiß in die Nase, so schwer und herb wie von einem Mann. Viel zu heftig für ein schmales junges Mädchen. Sie lief barfuß im Nachthemd über den Flur. Manchmal guckten dunkle Haare unter den Trägern ihres Kleides heraus, so was war ihr egal. Sie schämte sich gar nicht. Oder? Lassen Sie mich überlegen.»
    Hier fehlte wieder ein Stück, denn die nächste Seite fing mitten im Satz an:
    «… machten mich ihre Nähe und ihr Geruch so wild, und dann bekam ich Phantasien, dass ich neben einem Raubtier sitze, ich konnte mich nicht mehr beherrschen, ich wollte, dass der Tiger mich auffrisst, ließ meinen Kopf in seinen schwarzen Rachen fallen, in ihre haarige Achselhöhle, scheinbar aus Müdigkeit. Wenn ich dann so dumm war, die Augen zu öffnen, stieß sie mir den Ellbogen in die Rippen. Gar nicht böse gemeint, sie war auch gleich wieder lieb, legte den Arm um mich und drückte mich an sich. Wie ein wildes Kind.»
    «Wer war ein Kind? Sie oder Olha?»
    «Olha. Und ich.»
    «Und wer der Tiger?»
    «So hat sie gerochen. Wie ein Tiger.»
    Über dem Hof ging die Sonne unter. Die Fassade des gegenüberliegenden Gebäudes war in rissiges Rosa getaucht. Der Tag ist zu Ende und alle Hoffnung vergeblich, schien die Amsel zu schimpfen und flog von links nach rechts durchs Bild. Auf dem Flur schlurften die Patienten vorbei, die sich wie zum Trost ihr Abendessen in großen Blechnäpfen aus der Küche holen durften. Konrad wollte das Zimmer nicht verlassen, sie hätten ihn sonst in Gespräche hineingezogen, hätten auf ihn eingeredet und ihn auch körperlich bedrängt. Er ließ die Akte sinken, mit seiner Konzentration war es vorbei. Für einen Augenblick verschwamm alles in seinem Kopf, er wusste nicht mehr, wo er war und in welcher Zeit, was diese Geschichte mit Arkadij und Olha mit dem Mercedes zu tun haben sollte. Dann sah er Mazepas unsteten Blick vor sich, der ihn heute so beunruhigt hatte. Auch eine männliche Stimme, die zittrig wurde. Einzig und allein auf Guzman war noch Verlass. Dieser Mann war unermüdlich. Arkadij konnte sich glücklich schätzen: Wohl dem, dessen Leben bei einem anderen Menschen auf solche Aufmerksamkeit stößt.
    Konrad ließ sich erneut von den hypnotischen Fragen des Psychiaters einfangen. Arkadij redete im nächsten Abschnitt erstaunlicherweise frei, ohne dass man medikamentös nachgeholfen hätte. Die Verabreichung war nicht einfach vergessen worden. 0 / 0  ml, stand am Rand.
    «Hat er denn sofort gemerkt, dass Sie und Olha sich so mochten?»
    «Natürlich nicht, wie denn? Als er heimkam, stand er im Flur mit seinem großen Seesack, und ich lief auf ihn zu.»
    «Sie sind ihm in die Arme gelaufen, als er in die Wohnung kam?»
    «Ja, aber er hatte den rechten Arm in einer Schlinge. Ich rannte vor Freude gegen diesen bandagierten Arm. Er verzog das Gesicht vor Schmerz und schubste mich weg. Ich ging in mein Zimmer und versuchte, nicht zu heulen.»
    «Hatte er sich denn verändert?»
    «Sein Gesicht sah anders aus. Härter. Vorher hatte er etwas Rundliches gehabt, etwas Gutmütiges und Unentschlossenes. Das war jetzt weg. Er kam wie ein fremder Mann in die Familie zurück, wie ein Fremder aus dem Schneesturm ins Warme, wie einer, mit dem man gar nicht mehr gerechnet hat. Von dem man nicht mehr weiß, wie er früher gewesen war. So viel Zeit hatte er in der Sonne

Weitere Kostenlose Bücher