Der wahre Sohn
dafür gerade. Über Erfolge freute sich Muschter mit ihm. Er hätte auch neidisch sein können. Konrad musste nicht jeden Tag um acht im Büro antanzen. Bei aller Unsicherheit war er ein freier Mensch, Muschter dagegen blieb Befehlsempfänger, wenn auch vom Vorstand selbst. Konrad verdiente im Erfolgsfall auf einen Schlag mehr als Muschter in mehreren Monaten. Möglicherweise betrachtete der ihn insgeheim wie ein bizarres Insekt. Und diesen unsichtbaren, freundlichen Ringkampf hätte jeder als kollegiales Verhältnis bezeichnet.
So lief das Spiel. Solange beide Seiten mitmachten. Wenn Muschter wirklich einfach aufgelegt hatte, dann war aus dem Spiel Ernst geworden. Dann hatte er in Deutschland keinen Partner mehr. Dann hing er an keiner Leine mehr, er war ein Köder, der frei durchs Wasser schwebte.
Konrad hob den Hörer und wählte die Rezeption. «Das Mädchen, das schon einmal bei mir war, bitte.»
«Sie ist beschäftigt», sagte die Frau an der Rezeption. «Sie meldet sich, sobald sie frei ist.»
Diesmal dauerte es länger, bis sie eintraf. Er wartete gereizt und versuchte, nicht daran zu denken, womit sie gerade beschäftigt war. Er war kurz davor, sie wieder abzubestellen, da klopfte es, leise wie beim ersten Mal.
«Hallo», sagte sie, huschte ins Zimmer und warf einen zu langen Blick auf die drei leeren Bierdosen auf dem Tisch.
«Viel Stress», erklärte er ganz überflüssig.
«Hast du das Auto nicht gefunden?»
«Nein. Wie heißt du eigentlich?»
«Irina.»
Das musste er glauben wie alles andere. Sie setzte sich auf die Bettkante und legte ohne Umschweife die Hand auf seinen Oberschenkel. Langsam wandte sie ihm das Gesicht zu. Hellgraue Pupillen mit schwarzen Pfefferkörnern darin. Er fasste ihre Hand und näherte sich ihrem Gesicht. Sie roch gut, ihre Haut war nicht gepudert. Sie öffnete die Lippen und strich mit ihrer rauen Zunge über seinen Mund. Diese Zunge war so schlangengleich zärtlich, dass er fast glauben wollte, sie hätte etwas für ihn übrig. Heute war es dennoch anders. Vom kleinen Rausch der Unbesiegbarkeit, in den ihn die Entdeckung Svetlanas am ersten Abend versetzt hatte, war keine Spur mehr. Euphorie lässt sich nicht durch Bier erzeugen. An diesem Abend fühlte er sich hässlich wie ein Stück Fisch, ein unbrauchbarer, zerfledderter Köder, der ins Wasser zurückgeworfen wird. Er hatte Irina gerufen, damit sie ihm das Gegenteil bewies.
«Warte mal», er schob ihre Hand sanft weg. «Du könntest mir vielleicht helfen.»
«Gern, wenn ich kann», lächelte sie.
«Nein, ich meine etwas anderes.»
«Aha», sie schüttelte fragend den Kopf.
«Du kennst dich doch aus in der Szene hier.»
«Ich studiere Jura.»
«Gut, dann nenne ich dir mal die Fachbegriffe. Diebstahl, Hehlerei, gewerbliche Unzucht, Mord. Ich suche einen ganz bestimmten Mann.»
«Aha.»
«Wasyl Holota.»
«Du spinnst ja», rief sie und sprang auf. Er fasste sie am Arm und zog sie zurück. Federleicht plumpste sie auf das Bett. «Lass mich!», schimpfte sie.
«Aber ich bezahle dich.»
Er stand auf, ging zu seinem Sakko, reichte ihr eine Banknote. Sie hielt sie gegen das Deckenlicht, faltete sie zusammen und steckte sie mit betonter Ruhe ein.
«Also, einen Holota kenne ich jedenfalls nicht.»
«Aber den kennt in Kiew angeblich jeder.»
«Kann schon sein. Guck mal im Telefonbuch nach.»
«Witzig», sagte er, musste sich aber eingestehen, dass er das noch nicht getan hatte. «Dann frag ich mal anders: Wem musst du das Geld abgeben, das du hier verdienst? Wer ist dein Chef?»
«Bist du übergeschnappt?»
Sie griff nach ihrer Handtasche, deren braun-gelbes Muster auf dem glatten Kunstleder eine bekannte Marke imitierte.
«Warte.» Er hielt sie fest.
«Dann mach endlich.»
Mit verletztem, hochnäsigem Gesicht knöpfte sie ihre Bluse auf, riss den Reißverschluss ihrer Jeans mit einem Ruck runter, streifte die Hose herab und warf sich rücklings aufs Bett.
Er zog hastig seine Hose aus. Sie hatte die Arme ausgebreitet wie eine Gekreuzigte.
Da stand er.
Nicht.
«Ich kann so nicht», sagte er.
Sie gab sich keine Mühe, setzte sich nur auf und guckte verächtlich an ihm herunter. «Weichei», sagte sie und ging. Und von der Tür her, mit nachäffend quengeliger Stimme: «Wer ist eigentlich dein Chef?»
Als sie gegangen war, rührte er sich nicht aus dem tiefen, weichen Sessel. Sogar die Hosen ließ er unter den Knien hängen, auch wenn ihm kühl war. Wie zur Selbstkasteiung. Er saß da und war am
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