Der wahre Sohn
und versuchte es vom Flur aus. Das Ergebnis beruhigte ihn ein wenig. Von außen ließ sich die Tür nur mit dem Schlüssel öffnen, selbst wenn sie lediglich ins Schloss gefallen war. Einen Augenblick später, als er den Knauf von innen zudrehte, klopfte es.
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Acht
«Wer ist da?»
«Jurko», klang es dumpf durch die Tür. Konrad öffnete. Für Mazepa war es kein Problem, an der Etagenfrau vorbeizugelangen.
«Hab Sie gar nicht kommen hören.» Der Teppich auf dem Korridor dämpfte gut.
«Gemütlich haben Sie’s hier», sagte Mazepa. «Nicht billig, oder?»
Konrad verzog einen Mundwinkel.
«Haben Sie mit Muschter gesprochen?», fragte Mazepa. «Soweit ich verstanden habe, will er Sie von dem Fall abziehen.»
«Warum sagt er mir das nicht selbst?»
«Er meint, Sie hätten so merkwürdig reagiert. Ich soll es Ihnen noch einmal deutlich sagen.»
«Nicht nötig. Hab schon verstanden.»
«Wann reisen Sie ab?»
Konrad zuckte mit den Schultern.
«Geht mich ja auch nichts an. Aber wenn das so ist, will ich Ihnen für alle Fälle noch diese Dokumente zeigen. Wir haben zwar unterschiedliche Vorstellungen von Ermittlungsarbeit, aber Sie waren immer offen, und gegen Sie persönlich habe ich nichts. Ich will nicht, dass Sie ahnungslos in Ihr Unglück laufen. Das hier sind die Akten aus dem Mordfall.»
Mazepa nahm in einem der tiefen Sessel Platz und schlug die Akte auf. «Hier, sehen Sie, das erste Opfer. Ein Oberst der Sowjetarmee im Ruhestand.»
Das Foto zeigte einen hochgewachsenen, dunkelhaarigen Mann in Uniform mit den drei Sternen auf der Schulterklappe.
«Das erste Opfer?»
«Es gab noch einen weiteren Fall.»
«In beiden Fällen war es Holota?»
«Vorgeworfen wurde ihm nur die erste Tat. Die andere ist ungeklärt. Die erste genau genommen auch, aus den Akten geht hervor, dass Holota nach einer Wiederaufnahme des Verfahrens aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde.»
«Deshalb die zwei Jahre. Wo lebt er heute?»
«Gemeldet ist er in einer der feinsten Gegenden von Kiew. Große Neubauwohnung in Petschersk. Die steht aber leer, wir haben das überprüft. Abends geht dort regelmäßig das Licht an und aus, Automatik. Wo er tatsächlich lebt, wissen wir nicht.»
Konrad notierte sich die Adresse.
«Warum sollte jemand einen Offizier erschießen?»
«Wahrscheinlich Streit um Geld, um Autos, um irgendwelche Lieferungen. Der erste Offizier war einige Jahre in der DDR stationiert, in der Westgruppe der Streitkräfte. Diese Leute haben oft Autos oder andere begehrte Ware mit nach Hause gebracht. Vielleicht hatte er irgendein Geschäft mit Holota vor, und sie sind sich nicht einig geworden. Beziehungsweise dann doch.»
«Wer war das zweite Opfer?»
Mazepa reichte ihm ein Foto. «Jurij Michajlowitsch Zlotin.» Ebenfalls groß, schlank, dunkles Haar, fast siebzig Jahre alt. «Sie sehen die Parallelen: Sowjetischer Offizier, Holota, und wenn meine Hypothese stimmt, ging es in allen Fällen um Autos.»
«Gibt es ein Foto vom Täter?»
«Von Holota? Ja, sicher. Hier.»
Die typische Polizeiaufnahme. En face und en profil. Konrad nahm das Bild in die Hand und sah es sich genau an. Die Züge kamen ihm bekannt vor, er konnte aber nicht sagen, wo er diesen Mann schon einmal gesehen haben sollte.
«Ich würde mir davon gern einen Abzug machen. Schwarzweiß reicht. Nur damit ich eine Gedächtnisstütze habe.»
«Kein Problem, können Sie bei mir im Büro abholen», sagte Mazepa.
«Möchten Sie einen Wodka?», fragte Konrad. Im Aufstehen ließ er das Foto neben der Sessellehne auf den Teppich gleiten, sodass er sich notfalls mit einer Ungeschicklichkeit hätte herausreden können. Aber Mazepa bemerkte es gar nicht, er stopfte gerade seine Akten zurück in die Tasche. Konrad goss ihm ein.
«Auf Ihren Erfolg», stieß Mazepa mit ihm an.
«Auf unsere Zusammenarbeit. Und bis morgen.»
«Ich hoffe», sagte Mazepa und sah ihm in die Augen, «Ihnen ist klar, warum ich Ihnen das gezeigt habe?»
«Jedenfalls sehr freundlich von Ihnen.»
«Was ist Ihnen Ihr Leben wert? Die paar tausend Mark, die Sie für das Auto kriegen? Der Mercedes befindet sich in den Händen eines verrückten Kriminellen, der skrupellos Menschen erschießt. Sie haben keinen Auftrag mehr. Sie handeln auf eigene Faust, auf eigenes Risiko. Ich an Ihrer Stelle wäre schon längst weg aus Kiew.»
Konrad fürchtete, das Foto könnte bei Arkadij eine ähnlich heftige Reaktion auslösen wie die Nachricht vom Tod seines Vaters.
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