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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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haben.»
    «Doch, sie bewegten sich in der Tüte, so glitschig waren sie, und manchmal hat noch der ganze Körper gezuckt. Olha tat, als würde ihr das nichts ausmachen. Sie hätte alles dafür getan, bei uns zu bleiben. Das falsche Biest.»
    «Was meinen Sie?»
    «Es heißt immer, alle Menschen seien gleich. Aber dass sie so hinterhältig war, das hat vielleicht damit zu tun.»
    «Hinterhältig?»
    «Diese versteckte Bösartigkeit. Die Ukrainer sind sanft, aber unehrlich. Sie kennen eben die Geschichte zu wenig. Die ukrainische Aufstandsarmee hat ganze Dörfer niedergebrannt, alle umgebracht, die für die Deutschen arbeiteten. Der bloße Verdacht genügte. Heimtückisch ermordet. Mit Messern, nicht mit Schusswaffen. Niedergemetzelt. Und die Deutschen haben blindlings Rache genommen, sobald sie Partisanen oder Unterstützer in einem Dorf vermuteten. Grausame Rache an zufälligen Zivilpersonen. Aber die Deutschen gingen wenigstens verständlich vor, sie hatten Grundsätze. Wenn man sie nicht provoziert hat, kam man ganz gut aus mit ihnen.»
    «Also stimmt es doch.»
    «Was?»
    «Dass Sie etwas gegen Olha haben, weil sie Ukrainerin war.»
    «Das ist etwas ganz anderes. Verstehen Sie doch. Einmal hat sie so einen großen Aal gepackt, der guckte dann aus der Hand raus und wand sich, es sah furchtbar aus, wie …»
    «Wie was?»
    Sie verzog das Gesicht. «Wie ein Mann. Sie ließ den Aal aus ihrer Faust glitschen und sah mir dabei ins Gesicht. Ich wusste, dass sie insgeheim triumphierte, sie sah mir seelenruhig in die Augen und weidete sich an meiner Reaktion. Weil Jurij in der Tür stand, musste ich mich zusammenreißen. Du Miststück, habe ich gedacht, das wirst du mir büßen.»
    Svetlanas Blick ging in eine unbestimmte Ferne. «Und das hat sie ja auch.»
    «Wollen Sie mir nicht endlich sagen, was mit ihr passiert ist?», fragte Konrad.
    «Ich weiß es nicht. Ich hoffe, sie ist tot.»
     
    Zum ersten Mal spürte Konrad Überdruss. All die vielen Einzelheiten, aber so wenig Konkretes, das ihm bei seiner Suche helfen konnte. Er kam nicht weiter. Die einzige echte Spur war Wasyl Holota. Aber dieser Mann war irgendwo weit draußen, unauffindbar in einer Wirklichkeit, die nicht so gründlich festgehalten war wie die Empfindungen dieses ukrainischen Waisenkindes; und Mazepa, der ihn suchen sollte, zögerte aus irgendeinem Grunde.
    Guzman war tatsächlich unermüdlich. Von einem Ereignis mit Olha hatte Konrad schon drei verschiedene Versionen gefunden, womöglich hatte er es Arkadij noch öfter erzählen lassen.
    «Berichten Sie uns doch noch einmal, wie Olha in der Küche auf den Rücken fiel.»
    «Ja, sie war hingefallen, rührte sich nur ganz schwach. Ich wollte ihr aufhelfen, aber da waren rissige, harte Hände, die packten mich und zogen mich von ihr weg. Ich sträubte mich, sie mussten mich ziehen. Ich bog den Hals zu ihr, wollte sie noch mal sehen, da hat sie sich noch bewegt. Aber die Männer zerrten mich weg. Ich war zu schwach. Ich schrie und schrie, irgendwann sah ich vor Tränen gar nichts mehr.»
    Arkadij steht Wasser in den Augen.
    «Woher kamen diese Hände?»
    «Viele Männer.»
    «Wie viele Personen waren im Raum? Wie sahen sie aus?»
    «Männer, viele Männer. Sie standen über uns. Einige trugen Anzüge aus grauem Filz, mit Knöpfen wie an Uniformen. Und Mützen mit einem roten Stern darauf. Die Sonne schien. Einer hatte eine runde Nickelbrille auf, ein Glas blendete mich im Sonnenlicht. Die Nachbarn standen hinter dem Lattenzaun, haben nur zugeguckt und nicht geholfen.»
    «Die Nachbarn standen in der Küche?»
    «Nein, hinter dem Zaun.»
    «Also noch einmal, das Kindermädchen lag auf dem Rücken in der Küche. Und Sie versuchten, an Olha heranzukommen. Woher kamen dann plötzlich die vielen Männer? Stand die Wohnungstür offen?»
    «Die waren da. Mein Bruder …»
    «Was für ein Bruder?»
    «Mein großer Bruder. Sie haben ihn weggeschubst und geschlagen. Er hat geweint. Mein großer Bruder hat sonst nie geweint.»
    Von einem Bruder war bisher nicht die Rede gewesen.
    «Ich sah den graugrünen Uniformstoff.»
    «Graugrün oder grau?»
    «Ich weiß nicht», sagt Arkadij. «Die rauen Hände scheuerten über mein Gesicht, rieben sich heiß. Meine Fingernägel bohrten sich in die Haut der Männer. Einer schlug mir hart ins Gesicht.»
    «Wer schlug Sie? Ihr Vater?»
    Die Wirkung des Barbamil lässt nach. Arkadij ist erschöpft. Seine Gedanken scheinen immer wieder abzudriften. Vielleicht verwechselt er die

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